Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2023, Allgemein, Trainingslager

Farewell Heinzi!

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(opa) Mein heutiger Tag begann damit, mich über eine teilgesperrte Stadtautobahn in Richtung Trakehner Allee zu begeben (und wegen der Sperrung zu spät zu kommen), um einem altgedienten Herthaner und liebenswerten Menschen das letzte Geleit zu geben. Anfang März ging der legendäre “Heinzi” nach schwerer Krankheit mit 86 Jahren von uns. Ein Mann, der seine Freizeit unserem Herzensverein geopfert hat, der jahrelang als ehrenamtlicher Zeugwart bei jedem Spiel mit in der Kabine war und die Wäsche der Profis wusch, bis Dieter Hoeneß mal wissen wollte, wer der denn sei und ob der auf der Payroll stünde. Als das verneint wurde, flog Heinzi raus und hatte lang damit zu tun, Frieden mit seiner Hertha zu finden. Er fand ihn schon vor vielen Jahren, wenngleich es auch kein Weg zurück in die Kabine gab.

Eins meiner fröhlichsten Erlebnisse mit Heinzi hatte ich in einem Trainingslager in Schladming, als er, bereits 80 Jahre alt, vom Gleitschirmfliegen kam und voller Glückshormone im Kreis grinste. Hätte ich die Aufgabe, ein Gemälde mit dem Titel “Lebensfreude” zu malen, so wäre es Heinzi in diesem Moment gewesen. Möge seine Seele Frieden finden und er uns einen Platz im blauweißen Himmel vorm Fernseher freihalten, wo wir die Spiele unseres Herzensvereins weiter verfolgen können. Heinzis letzter Wunsch als ehemaliger Marineangehöriger ist bei einer Seebestattung seine letzte Reise in diesem Leben anzutreten und das wird demnächst geschehen.

Auf die Einheit der Herthafamilie ist in solchen Situationen übrigens Verlass. Die Kapelle des Friedhofs war bis zur letzten Reihe voll. Von Hertha war u.a. Thomas Herrich anwesend, Herthalegenden wie Manne Sangel (ehem. Herthaecho) oder Knut Beyer (Autor von 111 Gründe, Hertha zu lieben und Initiator von Stadionkneipe und blau-weißem Stadion), aber auch der im Vorgängerblog unter dem Pseudonym @herthamuseum schreibende Vereinskamerad und viele andere mehr, die zur Herthafamilie gehören und die wenigstens in diesen Momenten mal nicht streiten.

Wobei Streit hierzulande immer so negativ belegt ist. Ich war gestern Abend auf einer Podiumsveranstaltung zum Thema “75 Jahre Israel – Perspektiven aus zwei Ländern” in der FDP Bundeszentrale, wo Nelly Kranz, Marko Martin und Ahmad Mansour ihre Perspektiven zum besten gaben. Und Marko Martin sang ein Loblied auf die Streitkultur in Israel und dass es dort als Anerkennung betrachtet wird, wenn einem ins Wort gefallen wird und wenn man in der Sache hart streitet. Der in Deutschland zu beobachtende Hang zu möglichst konsensualer Debatte, die viele Sichtweisen ausblendet und abweichende Meinungen irgendwie als “radikal” abwertet und unmöglich macht, wurde als nicht sonderlich erstrebenswert betrachtet.

Und ich sehe das ähnlich. Wir leben auch hier in unserem Fußballblog von lebendiger Debatte, die auch mal Streit sein darf und bei der man am Ende nicht zwingend einer Meinung sein muss, wenngleich “we agree to disagree” am Ende der kleinste gemeinsame Nenner ist und man sich nicht persönlich beleidigt. Also lasst uns lebendig streiten, auch wenn es dabei mal laut wird, ist das doch ein Zeichen von Vitalität und Lebensfreude, als wäre man gerade am Gleitschirm durch die imposanten Alpen der Steiermark geflogen. Unser kleinster gemeinsamer Nenner ist, dass wir unserem Herzensverein Glück und Erfolg wünschen und der einzige Konsens sollte sein, dass es dahin mehr als einen richtigen Weg geben kann.

Lasst uns daran wachsen, denn es warten vermutlich wilde Zeiten auf uns, ggf. nicht nur vorübergehend in der Unterklassigkeit. Und wie immer wird es die geben, die die Asche der Vergangenheit als Monstranz vor sich hertragen und die, die bereit sind, neue, vielleicht unkonventionelle Wege zu gehen, um diesem Verein wieder den Glanz zu verleihen, der ihm gebührt. Der Streit darum und die Gewissheit, dass man sich nur mit Lebenden streiten und mit Toten nicht mehr versöhnen kann, soll uns heute durch den Tag tragen.

Und passend zur Stimmung im Saisonendspurt und für Heinzi stimmen wir heute ein getragenes “Nur nach Hause” in der Streicherversion in Moll an und murmeln leise…

…ein letztes HaHoHe für Heinzi, Euer Opa

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