Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Spieltagsnachlese

Meisterschaftstruppe

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(opa) Wer das Interview von Dardai vor dem Spiel gesehen hat, in dem dieser zugab, dass er 11-12 Spieler hat, mit denen er um die Meisterschaft spielen könne, musste im Anschluss rätseln, weshalb er diese nicht auf dem Platz stellt bzw. weshalb er diese nicht orchestriert bekommt. Stattdessen Klagen über die Qualität des zweiten Anzugs, den man für gewöhnlich doch dann aus dem Schrank holt, wenn der erste in der Reinigung oder beim Schneider zum Ausbessern ist. Dardais Meisterschaftstruppe traf jedenfalls auf einen gut orchestrierten Gegner voller Nobodys im Team, die auch keinen einzigen Moment Zweifel daran ließen, wer am gestrigen Sonntag die Hosen an hat.

Mit geschicktem Stellungsspiel, dauerhaftem Pressing und guter Raumaufteilung wirkte der Auftritt der Truppe vom Kiez wie aus einem Guss. Kraftvoll, dominant und eiskalt. Und zugegebenermaßen schwer zu bespielen, so einen Gegner knackt man nicht im Vorbeigehen auf. Und eben auch nicht mit noch mehr Kaderqualität, sondern mit anderen Methoden des modernen Fußballs. Die Wechsel machten es nicht besser, im Gegenteil. Man hatte hingegen Glück, dass St. Pauli den Zwei-Tore-Vorsprung geschickt verwaltete und sich hinten reinstellte und die Räume so eng machte, dass da kein Durchkommen war.

Zwei, drei Torschüssschen waren die gesamte Ausbeute von 90 Minuten Spielzeit. Und die Folge einer vom Gegner längst durchschauten Spielidee, die daraus zu bestehen scheint, irgendwie kontrolliert aus der eigenen Hälfte zu kommen, Reese auf die Reise zu schicken und vorn auf den lieben Gott zu vertrauen. Hinzu kommt, dass nach den letzten beiden Spielen klar zu sein scheint, dass da nach oben nichts mehr geht, da will sich der eine oder andere wechselwillige Spieler vielleicht auch nicht verletzen und die Karriere für die im Graben steckende Hertha riskieren. Zumal das Grundgehalt auch ohne Punkt- und Siegprämie sicher dafür reicht, um sich ein paar warme Mahlzeiten in der Woche leisten zu können.

Nichts gewesen außer Spesen? Nun, als Erkenntnisgewinn kann man vielleicht noch festhalten, dass mit Maza ein wirkliches Juwel herangereift ist, dessen Ambitionen und die Werbeversuche höherklassiger Teams aber verhindern dürften, dass er länger als notwendig bei Hertha unter Vertrag bleibt. Genießen wir also noch einmal einen für sein Alter ziemlich vollständigen Fußballer im Mittelfeld, der später sicher noch einmal irgendwo prominent in Erscheinung treten könnte. Die restlichen Talente wie Winkler, Klemens und Gechter sind solide Arbeiter, die im Alltag der zweiten Liga mithalten können und zu Erwachsenenspielern heranreifen und die in einem anderen Umfeld vielleicht auch zu höherem berufen sein könnte wie gerade Mittelstädt unter Beweis stellt, der auf dem besten Weg ist, ins Nationalteam berufen zu werden.

Die fraglos großartige Akademie von Hertha scheint wie ein Fluch für den eigenen Verein zu sein, weil das Management des Übergangs offensichtlich schwieriger ist als es auf den ersten Blick scheint. Zu viele Begehrlichkeiten und zu viele kurzfristige Interessen verhindern, dass man langfristig strategische Ziele umgesetzt bekommt. Der Weg, den man bei Hertha vermutlich mehr aus der Not eingeschlagen hat, ist fraglos richtig. Wenn man sich eine solche Akademie leistet, müssen die Spieler auch auf dem Platz stehen und ins Schaufenster gestellt werden. Und selbstverständlich auch meistbietend verkauft werden, wenn es Interessenten gibt.

Die Spielerberater der Nachwuchsspieler hätten das Stück vom Kuchen jedoch gern selbst für sich und ihre Schützlinge, weshalb es wohl vor dem Profidebüt vieler Spieler Streit geben dürfte, wie lange sich ein Nachwuchsspieler, den man für soweit einschätzt, an den Verein bindet. Und natürlich kann es passieren, dass es sich der Spieler auf diesem Level bequem macht und man da noch den besten Trainer an die Seitenlinie stellen könnte und auch der daraus nichts machen kann. Die Tatsache, dass viele Talente erst aufblühen, nachdem sie Hertha verlassen haben (wie z.B. Andrich), sollte allerdings auch vor dem Lichte betrachtet werden, dass es ebenso Beispiele gibt, wo das nicht eintrat (wie z.B. Regäsel). Für die einen ist das ein Dauerthema, für andere ein Hamsterrad.

Der Wunsch Dardais, dass niemand über Aufstieg sprechen soll, dürfte gestern jedenfalls in Erfüllung gegangen sein. Wenn der Hauch einer Chance bestand, dann ist dieser nach den letzten drei sieglosen Spielen in Rauch aufgegangen. Und angesichts der knappen Verhältnisse in der Liga muss man aufpassen, nicht doch noch unten reinzurutschen, zumal am Wochenende mit den Herrschaften aus dem Bergschadengebiet ein Gegner kommt, der ebenfalls um die nackte Existenz kämpft und immer für eine Überraschung gut ist, wie der 3:1 Sieg gegen den gestrigen Gegner nur eine Woche zuvor beweist.

Nun ist Fußball keine Mathematik, andernfalls dürften viele Spieler, Trainer und “Experten” auch große Schwierigkeiten haben, ihr Geld damit zu verdienen, insofern verbieten sich Quervergleiche. Aber gespannt darf man dennoch sein, wer am Wochenende im Olympiastadion jubelt. Man wird sich jedenfalls mehr einfallen lassen müssen als die eigenen Spielern zu Meisterschaftsspielern hochzureden.

HaHoHe, Euer Opa

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