Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Spieltagsnachlese

Glück auf, der (Ab-)Steiger kommt

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(opa) Was für ein schöner Sommersonntag im mit rund 70.000 Zuschauern gut gefüllten Olympiastadion. Der Name der Gäste aus dem Bergschadengebiet zieht eben mehr Zuschauer in den Bann als Clubs wie Hoffenheim, Wolfsburg oder Elversberg, die organisch nicht einmal einen Bus vollbekämen. Fast volle Hütte also und beide Teams gingen nicht nur mit offenem Visier, sondern auch mit einer Art Tag der offenen Tür im Defensivverbund in das Spiel und brachten nicht nur ihre Trainer, sondern auch das Publikum mal in Verzückung, mal zur Weißglut. Frühes Tor, früher Ausgleich, wieder Führung, wieder Ausgleich, bevor Hertha den Hammer auspackte. Es könnte ein Brustlöserspiel nach Wochen der Agonie gewesen sein.

Doch man soll das Fell des Bären ja erst verteilen, wenn dieser erlegt ist und wie die Nerven bei unserem Herzensverein blank liegen, zeigte die Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die Grubenlampen. Ein Trainer, der dem Sportdirektor ins Wort fiel und ein Verhalten an den Tag legte, was zuletzt Gas-Gerd in der Elefantenrunde nach seiner Abwahl zeigte. Ein Trainer, der ernstgemeinte Fragen von Journalisten zum Berliner Weg und dem richtigen Umgang mit Akademiespielern nach deren Verkündigung des eigenen Abgang mit dümmlichen Gegenfragen belegte und eine Dünnhäutigkeit exponierte, die Beleg dafür ist, wie der eigene Umgang mit Kritik ist.

Wer meint, dass letzte Woche Medienberichte die Runde machten, Dardais Vertragsverlängerung würde zur Disposition stehen, der für dieses Verhalten entscheidende Zusammenhang sei, dem sei versichert, dass sich Pal genau so auch in der Zeit äußerte, wo er kein Engagement bei Hertha hatte. Positiv ausgedrückt kann man sagen, dass Dardai sein Herz auf der Zunge trägt. Ob das immer klug ist, sei mal dahingestellt, aber wer Dardai bestellt, kriegt halt auch Dardai und zu diesem Trainer gehört eben auch diese Form der “Authentizität”, mit der eben auch einhergeht, dass er der Meinung ist, er habe im Gegensatz zu anderen Herthatrainern nie Geld für “seine” Kader bekommen, sich aber auch nie beklagt, obwohl er das genau in solchen Momenten tut.

Angeblich nehme die Herthaführung dem Trainer übel, dass sich sein jüngster Sohn gegen die Offerte von Hertha und stattdessen für den VfL Wolfsburg entschieden habe. Wobei man damit manifestiert, dass es eben doch ein Compliancethema mit der Familienbande gibt, obwohl man das immer abgestritten hat. Dardais Pressekonferenzgepolter legt die Dünnhäutigkeit und Beleidigtheit offen, die nur bedingt übertüncht werden konnte und an der auch der gestrige Erfolg nichts mehr grundlegend ändern dürfte. Das Tischtuch scheint zerschnitten und es ist fraglich, ob es wirklich hilfreich ist, wenn man Pal in dieser Verfassung im Verein behält, wo er sich immer irgendwie auf Abruf befindlich im Hintergrund positionieren würde.

Es gibt das Sprichwort, dass man den wahren Charakter eines Menschen nicht beim Kommen, sondern beim Gehen erkennt. Wie es anders geht, zeigt in Freiburg Christian Streich, der soeben verkündet hat, zum Saisonende zu gehen, weil er das Gefühl hat, dass er den richtigen Moment zum Aufhören nicht verpassen möchte. Kein Nachtreten, kein piesepampeliges beleidigt sein, sehr reflektiert und dennoch meinungsstark. Es geht also anders, als Legende abzutreten. Auch wenn beide Fälle nicht vergleichbar sein mögen, die Art und Weise des Umgangs mit dem sich abzeichnenden Ende ist signifikant.

Von den glühenden Befürwortern des derzeitigen Trainers kommt in solchen Momenten gern der Hinweis, wie es denn anderswo aussähe. Der HSV war da ein in der Vergangenheit gern gewählter Maßstab, aber auch der letzte Gegner wird gern bemüht, wenn es darum geht, das Gespenst des “Anderswo ist es auch schlecht” zu bemühen. Ja, die Gelsenkirchener müssen aufpassen, nicht noch weiter abzurutschen, 2-3 Punkte Vorsprung nur auf Relegations- bzw. Abstiegsplatz sind knapp, aber “die Knappen” ist ja deren selbstgewählte Bezeichnung, die auf einen Bergmann nach abgeschlossener Berufsausbildung zurückgeht. Mit Abstieg unter Tage kennt man sich dort also aus und ja, für den deutschen Ligafußball wäre das ein Verlust, denn der Name der für Herthaner Unaussprechlichen zieht immer noch viele Zuschauer an, viel mehr als Wiesbaden, Elversberg und Osnabrück zusammen.

Doch was interessiert uns anderer Leute Elend? Über Hertha hat sich auch der Kübel der Häme ergossen, als es mal wieder bergab ging. Das ist eben Fußball. Und man kann bei solchen Gelegenheiten “und trotzdem lieb’ ick meene Hertha” singen oder aber in alter Bergmannstradition (mein Urgroßvater war Steiger) eine der Zusatzstrophen des Steigerlieds:

Die Bergleut’ sein
Kreuzbrave Leut’
Denn sie tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht
Denn sie tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht
Und saufen Schnaps und saufen Schnaps

Zusatzstrophe aus dem Steigerlied

Die Schlacker werden das schon überleben, genau wie die blauweiße Hertha niemals untergehen wird.

HaHoHe, Euer Opa

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