Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Spieltagsnachlese

Das dreckige Trio

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(opa) Die Nachlese des letzten Spiels hat etwas gedauert, das frühsommerliche Wetter war einfach reizvoller als am Rechner zu sitzen und so konnte ich auf einer Wanderung durchs Havelland ein wenig meine Gedanken sortieren. Im Einsteinhaus in Caputh hatte ich eine reizende Museumsführerin, die nicht ganz ungerechtfertigt über Berlins Unfähigkeiten berichtete, dem Nobelpreisträger mit einem Haus am Wasser zu beschenken, bis dieser mitteilen ließ, dass er als Beschenkter nicht mehr zur Verfügung stehe, u.a. weil man ihm ein Haus schenken wollte, in dem noch jemand mit lebenslangem Wohnrecht wohnte, den man irgendwie vergraulen wollte, was wiederum Einstein nicht wollte. Irgendwie scheint sich in den letzten 100 Jahren diesbezüglich nur wenig verändert zu haben und Parallelen mit Herthas Stadionbau sind sicher nur rein zufällig. Mit Blick auf den Templiner See und unweit des Liegeplatzes seines Segelboots tat Einstein das, was er am liebsten tat: Denken.

Wir wissen nicht, was sich die Stadionbauer von Paderborn gedacht haben, aber wer mal vor Ort war, kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus angesichts des Zugangs zu den Blöcken über eine schmale Treppe vor dem Block. Das Stadion selbst steht quasi auf dem Parkplatz eines lokalen Möbelhändlers und sieht auch kaum anders aus als ein Möbelhaus und steht damit sinnbildlich für die Verzwergung der oberen Fußballligen. Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen, Heidenheim, Sandhausen, Elversberg oder Paderborn klingen eher nach Stationen eines Kleinkünstlers, dem seit 30 Jahren der große Durchbruch nicht gelingen mag als nach großem Fußball oder zumindest der Sehnsucht danach und mit Regensburg und Ulm klopfen die nächsten Städte aus dieser Kategorie an die Pforte der 2. Liga.

Man mag dem Berliner eine gewisse Arroganzattitüde zusprechen, aber es ist und bleibt die einzig echte Metropole dieses Landes. Wobei die Metropole nach Definition der alten Römer eine Bezeichnung einer Provinzhauptstadt war. Trier z.B. war eine dieser Metropolen des römischen Reiches. Dort spielte man aber keinen Fußball und vermutlich demzufolge heute auch keine Rolle mehr. Mag sein, dass in Frankfurt und München die Flughäfen besser angebunden sind und besser funktionieren als in Berlin. Aber wer will schon Handkäs mit Musik essen oder Brühwurst mit Petersilie aus geleertem Schweinedarm lutschen? Nein, Berlin ist dann doch sehr viel “dufter” mit Boulette, Bockwurst, Kassler und Eisbein (nur echt mit Erbspürree!). Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz.

Warum bisher das Spiel keine Erwähnung fand? Nun, was soll man den amtierenden Trainer unnötig provozieren und über Konzept oder Nichtkonzept philosophieren, jeder konnte sehen, dass uns die Paderborner über weite Teile des Spiels fest im Griff hatten. Der Mannschaft aus Westfalen fehlte es lediglich an Abschlusseffizienz und Hertha hätte sich in Halbzeit 1 nicht beschweren dürfen, wenn man 4 Treffer kassiert hätte. Aber weder das Leben noch der Fußball finden im Konjunktiv statt. Mit einem Mix aus Aufbäumen, Dranbleiben und brutaler Effizienz erzwang Hertha auf den Punkt der 90. Minute das späte, beinahe “dreckige” dritte Tor, welches unserem Opener heute die Überschrift verleiht. Spiele, für die man den Fußball liebt. Zumindest, wenn man gewinnt.

Und dann sollte man es mit Demut handhaben wie wenn man beim Asiaten isst. Wenn es schmeckt, nicht fragen, was es war. Und wenn nicht, auch nicht. Mein Lieblingsspruch im Glückskeks ist “That wasn’t chicken”. Im Glückskeks am Freitagabend hätte vermutlich “That wasn’t Konzeptfußball” gestanden. Und wohl kaum jemand würde sich über dieses Konzept unterhalten, wenn Hertha öfter auf diese Art uns Weise gewonnen hätte. Aber wie gesagt, der Konjunktiv passt weder zur Chronik des Lebens noch zu der des Fußballs. Und so spielt Hertha eben auch nicht um den Aufstieg, sondern im Nirgendwo der Liga, obwohl der Trainer laut eigener Aussage “zehn, elf Spieler” hat, mit denen er um die Meisterschaft spielen könnte. Auch der Trainer funktioniert nicht im Konjunktiv.

Umso süßer kostet man die Momente des Sieges aus und hat als mitreisender Schlachtenbummler in Paderborn Liedgut wie “Wir fahr’n nach Haus’, wir fahr’n nach Haus’, wir fahr’n nach Haus’ ihr müsst hier woh’n!” auf den Lippen. Mag sein, dass der Fußballästhet die Nase ob des Dargebotenen rümpft, doch für solche Siege sind viele Fußballfan geworden. Nicht verdient und doch gewonnen. Glück darf man nicht hinterfragen, man muss es genießen. Und das Glück mag oft mit den Tüchtigen sein, aber in Wahrheit ist es doch eher mit den Gefallenen, die erkennen es nur oft nicht, wenn es ihnen begegnet. Einer dieser Glücksmomente war der Dreier am Freitagabend, auch wenn die Gefallene sich davon kein Glück kaufen kann und auch wenn das kaum reproduzierbar sein dürfte, für die Fanseele tat es dennoch gut.

Daher geht der Herthaner stolz in die Woche und fragt den Kollegen, der es mit den Köpenickern hält, wie es bei dem am Wochenende gelaufen ist. Der mag zwar tollen Fußball gesehen haben (zumindest von der Gastmannschaft), die Endorphine eines Sieges hat man zwischen Wald und Wuhle nicht genießen können. Da nutzt es auch nichts, wenn der kroatischstämmige Trainer nicht nur besser Deutsch spricht als sein Amtskollege in Westend, sondern auch noch fließend spanisch beherrscht, “Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen” ist halt aus My Fair Lady und nicht Fußball.

Wobei My Fair Lady so viel gemeinsam hat mit der alten Dame, die dann doch wie die Blumenverkäuferin Eliza wirkt, die so gern zur feinen Gesellschaft gehören würde und dennoch immer wieder vulgär wird und am Ende zu fein für die Blumenverkäuferin ist und für die gute Gesellschaft fehlt das Geld. Und so endet man eben in Paderborn statt in Paris, in Magdeburg statt in Manchester und in Elversberg statt in Everton. Am Wochenende kommt dann Rostock statt Real. Und an der Seitenlinie steht weiter Pal statt Pep. The Rain in Spain stays mainly in the plain.

HaHoHe, Euer Opa

P.S.: Der Komponist von My Fair Lady war übrigens Frederick Loewe, der 1901 als Fritz Löw in Charlottenburg geboren wurde.

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