Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Spieltag

Schwalbe oder Befreiungsschlag?

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(opa) Der Volksmund weiß: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Oder wie der Berliner es ausdrücken würde: Een Spatz macht noch keen’ Frühling. Wer bei diesen einleitenden Worten an die Schwalbe von Winkler denkt, für die er Mitte der ersten Halbzeit eine gelbe Karte erhielt und die später zu seiner vorzeitigen Auswechslung führte, liegt aber gänzlich falsch. Es sind zum einen die Temperaturen, die am Wochenende frühlingshafte 16° erreichten und die Vogelwelt zum durchaus laut vernehmbaren Leben erweckten. Und zum anderen scheinen sich durch den gestrigen Auswärtssieg all diejenigen bestätigt zu fühlen, die auf Trainer Dardai große Stücke halten.

Richtig ist, dass das Team gestern selbstbewusst und motiviert zu Werke ging und durchaus auf Augenhöhe mit dem Aufstiegsaspiranten aus Franken agierte. Sogar so etwas wie einstudiert wirkende Spielzüge waren zu sehen, wenngleich diese untermalt waren mit diversen Fehlpässen in entscheidenden Situationen. Dass beide Tore nach Standards fielen und durch einen Innenverteidiger erzielt wurden, sollte dabei aber zu denken geben. Klar ist Fußball Ergebnissport und das Ergebnis passte gestern, dennoch schadet es nicht, sich das im Kontext anzuschauen und da sollten allen, die es gut mit der Hertha meinen, die Sorgenfalten im Gesicht stehen.

Denn die zweite Liga ist gefühlt fast noch etwas knapper als die erste. Platz 8 klingt dabei besser als er ist, denn zum Aufstiegs-Relegationsplatz fehlen bereits 8 Punkte und zum Abstiegs-Relegationsplatz sind ebenfalls nur 8 Punkte Luft. In nur 2-3 Spieltagen kann man also tief unten reinrutschen, weshalb das gestern echte “big points” waren. Aber die Sorgenfalten bleiben eben, weil dieses Team bei dieser Kostenstruktur so nicht im Mittelmaß der Liga überlebensfähig ist. Zum Überleben (und auch, weil er andere sportliche Ambitionen hat) wird man Reese verkaufen müssen, der gestern gezeigt hat, wie wichtig und beinahe unersetzbar er für das Team ist. Und die Erlöse daraus werden im Nirvana verpuffen, weil zeitgleich diverse unverkäuflich scheinende Leihspieler zurückkehren.

Daher tut man gut daran, sich vor Augen zu halten, dass auch die nächste Saison eine Übergangssaison ist, wobei das ohnehin eine fadenscheinige Begründung ist, weil nichts im Spitzensport statisch ist. Vom Pfahlsitzen mal abgesehen. Jedes Team kämpft ständig mit Veränderungen, verletzten Spielern oder Systemumstellungen oder fixen Ideen, die mal genial aufgehen und mal grandios scheitern. Vermutlich ist das eines der Erfolgsgeheimnisse des Fußballs, dass man sich so schön aufregen kann und immer ein Gesprächsthema hat, selbst dann (und dann vielleicht noch mehr), wenn es mal nicht so läuft.

Hertha hatte in der zweiten Halbzeit kurz vorm Gegentreffer die Chance auf 2:0 zu erhöhen, man kassierte aber im Gegenzug den Ausgleich. Wer dabei “Wie gewonnen so zerronnen” dachte, wurde überrascht vom Aufbäumwillen des Teams, welches angetrieben von Kapitän Reese (Leistner war ja gelbgesperrt) immer wieder die Fürther anrannte, zu Fehlern zwang und am Ende auch verdient als Sieger vom Platz ging. Die zweite Halbzeit war trotz des Gegentreffers besser als die erste. Noch besser wäre es gewesen, wenn Scherhant den frei stehenden Reese gesehen hätte, die Lernkurve vom ohne Frage talentierten Derry ist momentan etwas zu flach. Sehr erfreulich auch das Debüt von Tim Hoffmann, auch wenn dieses durch den vermuteten Bänderriss bei Kempf erforderlich war.

Dass Reese durchspielen konnte, war wohl auch der kleinen Pause geschuldet, die durch die erneuten Proteste durch die Fans erzwungen wurden, die den geplanten Investoreneinstieg aus einer ganzen Reihe nachvollziehbarer Gründe ablehnen. Einer der Investoren, mit denen die DFL verhandelt, hat u.a. dafür gesorgt, dass statt in Europa die Rennen der Formel 1 nun in Bahrain, Saudi-Arabien, China, Aserbaidschan, Singapur, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfinden. Dass nationale Wettbewerbe erfolgreich auch im Ausland stattfinden können, hat die NFL mit zigfach ausverkauften Spielen in Europa unter Beweis gestellt.

Dass man sich am Ende trotz vermutlich stagnierender nationaler TV-Einnahmen einem Investor andienen will, bei dem man einen sehr teuren Kredit abschließt, sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Dass Geld allein nicht zwingend die Wettbewerbsfähigkeit nach sich zieht, mit der immer wieder der Investoreneinstieg begründet wird, haben wir bei Hertha schmerzhaft lernen müssen. Unter den Nachwirkungen von Verträgen, die nur unter größten Anstrengungen erfüllbar sind, werden wir noch ein paar Jahre leiden und vielleicht sogar doch am Ende zugrunde gehen.

Um den Kopf finanziell über Wasser zu halten, muss bei Hertha eigentlich mehr erreicht werden als der Klassenerhalt in Liga 2, aber dieser sollte das absolute Minimum sein. Die Folge wird sein, dass man noch weniger Geld haben wird und diverse Probleme auf Ausgabenseite bleiben werden. Wie unter diesen Umständen ein Aufstieg realisiert werden soll, bleibt eine Frage, um die sich nun noch mehr herumgedrückt wird als über die Zielsetzung für die laufende Saison.

Die gestrige Schwalbe, die noch keinen Sommer macht, tat der geschundenen Seele gut. Die dunklen Wolken am Horizont verhageln aber ein wenig die Freude, die ein solcher Erfolg machen sollte. Wie seht ihr das? Trendumkehr oder nur Strohfeuer? Glas halbvoll oder halbleer?

HaHoHe, Euer Opa

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