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Der Geist von Alicante

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(opa) Neues Jahr, neuer Opener. Zunächst zum Zeitplan für den Jahresauftakt: Morgen am 3.1. geht es für die Profis mit dem Trainingsbetrieb wieder los. Am Tag nach dem Testspiel am 6.1. gegen Erzgebirge Aue geht es zum Trainingslager nach Spanien, wo man bei in Alicante zu erwartenden frühlingshaften Temperaturen dem Rückrundenstart entgegentrainiert und gegen KV Mechelen (10.01.24, 15:00 Uhr) und Rangers FC (13.01.24, 16:00 Uhr) testen wird. Wer nicht mitreist, soll bei Hertha TV in den Genuss einer Übertragung der Testspiele kommen, wobei die Formulierung, dass man dies plane, nicht zwingend bedeutet, dass das auch so sein wird.

Am 21.1. geht’s dann im Oly endlich los mit dem ersten Pflichtspiel des Jahres gegen Fortuna Düsseldorf, ein Verein, welcher sich seit dem Relegationsskandal bei Hertha nicht allzu großer Beliebtheit erfreut. Auch wenn es am Rhein schön sein mag, Berlin hat doch die schöneren Berge und vor allem das bessere Bier. Aber das ist ja kein Wettbewerb, in dem wir uns befinden, wer die schönere Stadt hat, sondern wer am Ende ein Tor mehr erzielt hat. Idealerweise sollte dafür aber ein Elfmeterpunkt und Eckfahnen vorhanden sein. Das Spiel wird vermutlich selbst in Jahrzehnten noch für Aufregung sorgen.

Ansonsten ist bei Hertha zwei Tage nach Beginn der Transferperiode beinahe erwartungsgemäß Totenstille. Zugänge wird man ohnehin nur realisieren können, wenn man einen der Topverdiener wie Kempf oder einen der Leihspieler loswird, der Kader ist mit 32 Spielern ohnehin viel zu groß (und immer noch viel zu teuer). Immerhin hat Weber vor Beginn der Transferperiode Abgangsgerüchten um Herthas Außenstürmerstar Fabian Reese einen Riegel vorgeschoben, es gebe keinen Preis, der Hertha dazu bewegen würde. Ob man intern doch ambitioniertere Ziele haben sollte als man zu kommunizieren wagt?

Wer dieser Tage Fußball sehen will, muss sich außerhalb Deutschlands umschauen und die fußballinteressierten unter Euch haben das ja auch getan. Oder sich andere Ersatzdrogen verschafft, Skispringen bei der 4-Schanzen-Tournee oder Darts WM im legendären Ally Pally, wo ein Teenager gerade groß raus kommt. Ich selbst gucke ja seit Jahren kein klassisches lineares TV mehr (von einigen ausgewählten Livesportereignissen mal abgesehen) und bin daher auch bei “Fremdsportarten” meist nur Zaungast oder kriege das nur aus der Konserve mit.

Derweil habe ich mal ein paar Videos auf dem Handy aufgeräumt und in den Jahren 2020 und 2021 unglaublich viel Käse aus der Coronazeit gefunden, in der viele ihre Kreativität entdeckt haben und im Lockdown anfingen, kleine Videos zu produzieren, die nun meinen ICloud Speicher haben volllaufen lassen wie ich mich nach einem Herthaspiel mit Mariacron (nicht nachmachen, liebe Kinder und erst ab 18 und nur verantwortungsvoll). Und natürlich bin ich auch über Videoschnipsel gestolpert, wo hier im Blog mehr Stimmung war als in den seinerzeit leeren Stadien des Landes. Ob man diese Zeit und die seinerzeit angeordneten Maßnahmen noch einmal aufarbeitet und auswertet, was sinnvoll war und was nicht?

Der rüde Ton in unserer Gesellschaft muss uns nicht wundern, wenn so etwas unterbleibt. Und so ist es ja auch hier, wo einige meinen, die selbstauferlegte Quarantäne würde etwas zur Besserung der Gesprächskultur beitragen. Merkwürdige Wahrnehmungen scheinen manche als eine Art Langzeitfolge der Pandemie zu haben, in der viele sich nur noch in der eigenen Echokammer zu bewegen begannen. Und so geht das neue Jahr weiter wie das alte geendet hat, die Welt da draußen dreht sich weiter, jeden Morgen geht die Sonne auf und der Fußball lenkt uns bisweilen von dem ab, was wirklich wichtig ist. Inmitten der 20er Jahre dieses Jahrhunderts klopft der Krieg deutlich vernehmbar an unsere bislang friedliche Welt und nicht wenigen wird bewusst, dass die Zivilisation, die wir glaubten erreicht zu haben, doch nur eine Firnisschicht ist, die sich leicht entfernen lässt und die vor allem nichts halten wird.

Wer sich Silvester durch die Straßen traute, bekam eine Ahnung davon, welche Maßnahmen mittlerweile erforderlich scheinen, um ein Mindestmaß an öffentlicher Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Da scheinen Kräfte zu wirken, die kaum zähmbar erscheinen und die sich vor allem kaum zähmen lassen wollen. Wer sich sonst angesichts ein paar meist kontrolliert abbrennender Fackeln in den vollständig videoüberwachten Stadien des Landes echauffiert, von dem war zu den Ereignissen rund um Silvester kaum etwas zu vernehmen. Vielleicht ist das eine mit dem anderen aber auch einfach schwer bis gar nicht in Relation zu bringen? Und vielleicht ist es bei allem Respekt auch etwas der Altersstruktur hier geschuldet, dass wir die Bewältigung solcher Aufgaben den jungen Leuten überlassen?

Junge Leute sind ein gutes Stichwort, um die Kurve zu kriegen, denn Herthas Kader ist mit 24,0 Jahren exakt zwei Jahre jünger als der Durchschnitt aller Zweitligisten. Und bei Hertha stehen halt auch meist junge Spieler auf dem Platz und füllen nicht nur statistisch den Kader auf. Ein Umstand, den man den dafür Verantwortlichen ausdrücklich positiv bescheinigen muss (bevor es wieder heißt, ich ließe kein gutes Haar an ihnen). Auch sonst ist Herthas Auftritt jünger geworden, angefangen von der Öffentlichkeitsarbeit, die zwar nicht immer perfekt (z.B. Liveübertragungen von Testspielen), aber deutlich fannäher rüberkommt als früher, wenngleich mir auch hier das mit der dünnen Firnisschicht auf der Zunge liegt, zumal einiges dann doch mehr bemüht als authentisch erscheint.

Möge das Team den Geist von Alicante wecken, sich inspirieren lassen und alle Kritiker incl. mir Lügen strafen, indem man sich dort einschwört, einspielt und die Rückrunde des Jahrhunderts startet, Aufstieg, Pokalsieg und Europapokal inclusive. Wenn nichts davon eintritt, werde ich persönlich nicht enttäuscht sein und weiter “meener Hertha” die Treue halten wie all diejenigen, mit denen ich seit den späten 70er Jahren das nicht immer einfache Verhältnis mit der alten Dame teile, die mal Diva, mal pflegebedürftig, mal herausgeputztes Sexbombe und dann auch mal verkaterte und verlebte Schönheit ist. Echtes Leben irgendwie. So wie der Glaube an das Wunder.

HaHoHe, Euer Opa

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