(opa) Der Tag nach der über siebeneinhalbstündigen Mitgliederversammlung gestern schreit regelrecht nach einer Einordnung des Geschehenen. Nach einer überaus turbulenten Saison, wo man mit Ach und Krach gerade so den Klassenerhalt in der Relegation schaffte, wollten viele den Blick nach vorn richten. Die einen, weil sie das Elend der Rückschau nicht noch einmal retrospektiv erleben wollten, die anderen, weil sonst allzu deutlich würde, welchen Anteil sie daran hatten. Bei Hertha kochen traditionell viele ihr Süppchen und jeder versucht dabei, seinen Anteil vom Kuchen möglichst groß zu halten, während das Schicksal des Vereins dabei irgendwie unter die Räder zu kommen scheint. Seht mir daher nach, wenn die nachfolgenden Zeilen eher unter der Überschrift “Glosse” laufen.
Ex-Präsident Werner Gegenbauer
Fangen wir beim Kopf an, der mindestens in den letzten Jahren schon leicht zu stinken begann. Er sägte gemeinsam mit dem von ihm trotz Erfolglosigkeit gestützten und über ein Jahrzehnt weitere Millionenverluste einfahren dürfenden Ex-Manager Michael Preetz dessen Vorgänger Dieter Hoeness u.a. mit dem Vorwurf ab, dieser halte personengebundene “Festspiele” ab. Man wolle das Potential, was in der Hertha steckte, besser nutzen und sich gleichzeitig wirtschaftlich konsolidieren. Dieser Move kostete Hertha nicht nur vermeintlich die Meisterschaft, sondern führte unmittelbar in zwei Abstiege und die zwischenzeitlich faktische Insolvenz, die nur durch einen Trick abgewandt werden konnte. Ich schrieb es gestern schon einmal: Niemand bei Verstand sollte ernsthaft erwägen, diesem Ex-Präsidenten ein Denkmal errichten zu wollen.
Ex-Manager Preetz
“Erfolg auf allen Ebenen” titulierte es Herthas Presseabteilung hier noch im August 2020, nachdem dieser mal wieder trotz Rekordinvestitionen gerade so dem Abstiegsgespenst entronnen war. In seinen Verantwortungsbereich fielen nicht nur die desaströse Kommunikation, sondern vor allem das operative Kerngeschäft in Form des sportlichen Abschneidens. Immer dann, wenn man dachte, man habe sich gerade konsolidiert und immer dann, wenn man sich falsch entscheiden konnte, hat er falsch entschieden. Spieler wurden mit viel zu langen und zu hoch dotierten Verträgen geradezu magisch angelockt. Zwei Abstiege und zwei teuer erkaufte Wiederaufstiege hoben weitere Löcher in die ohnehin schon löchrige Bilanz. Schon ziemlich früh muss es auch ihm egal gewesen sein, ob man nun mit 50 oder 200 Mio. € in die Insolvenz geht. Seine Trainerbilanz ist eine Auflistung des Schreckens, unvergessen der unglückliche Michael Skibbe genauso wie der nette, aber mit der Aufgabe überforderte Ante Covic. Seine Transfertaktik schien zu heißen: Teuer kaufen, auf dem Höhepunkt halten und verlängern und anschließend entweder teuer absitzen lassen oder mit Verlust verscherbeln. Ronny, Sandro Wagner, Selke, Duda und eine ganze Kohorte an “Leckweins”, Ottls und Hegelers fallen in seine desaströse Bilanz genau wie Rekordverpulverungen wie Tousart, Lukebakio, Cordoba und Cunha, die als Paket sicher weit mehr als 100 Mio. € gekostet haben. Dass er überhaupt so lange werkeln durfte, hat er nicht umsonst der schützenden Hand von Ex-Präsident Werner Gegenbauer zu verdanken.
Alte Seilschaften 1 – Paul Keuter
Zu diesen Seilschaften gehört u.a. auch die Öffentlichkeitsarbeit, die in den letzten Jahren managerübergreifend einem Mann anvertraut wurden, der von einem User hier mal als “Laberpaule” bezeichnet wurde. Seine social media Bilanz der abgelaufenen Saison ist noch schlechter als das sportliche Abschneiden der Mannschaft:
So sieht “Erfolg auf allen Ebenen” im Selbstverständnis von Herthas Öffentlichkeitschef und Chefdigitalisierer aus. Es ist mir unbegreiflich, weshalb dieser Mann morgens das Friesenhaus überhaupt noch betreten darf, nachdem er sogar zwischenzeitlich für seinen Ex-Schützling Arne Friedrich als dessen Ex-Manager einen Vertrag aushandeln wollte, obwohl er gleichzeitig bereits in der Geschäftsleitung des Arbeitgebers saß. Keuter ist ein Sinnbild für den Selbstbedienungsladen, wo selbst für solche Lowperformer noch Millionenkrümel vom Kuchen fallen.
Noch-Finanzboss Ingo Schiller
An ein Gespräch mit ihm vor vielen Jahren kann ich mich noch gut erinnern. Der Mann, der gern in seinem Büro große Zahlen an sein Flipchart malte und ein exzellenter Storyteller ist, meinte mal über die Berliner, dass diese, wenn es Berge in Berlin gäbe, behaupten würden, diese seien die größten. In der abgelaufenen Saison war Ingo Schiller als Bergauftürmer jedenfalls unglaublich erfolgreich und hat es geschafft, dass kein Bundesligist nach Steuern mehr Minus erwirtschaftet hat. Der Berg der von ihm zu verantwortenden Verlustvorträge ist ebenfalls ziemlich einmalig und dürfte ihm Türen und Tore öffnen auf dem Weg weiter hoch, Herthas Schuldenberg stellt quasi eine Art Basisstation von Real und Barca dar, die ihre Schuldenberge längst nicht mehr ohne Sauerstoff und Sherpas erforschen können. Dass Schiller “Gegenbauerianer” war, ließ er einen bei Meinungsverschiedenheiten durchaus spüren. Sein Wirken und vor allem seine Bilanzen sind sein zweifelhaftes Denkmal, vom nichteröffneten Museum, nichtfertiggestellten Fanhaus, nichtrealisiertem Stadion und dem nichtschwimmenden Dampfer (an dessen Erwerb durch Pering & Wolter er durchaus seinen gewichtigen Anteil hatte) und werden uns vermutlich länger erhalten bleiben als eine Bronzestatue oder eine Marmorplatte, die beide vermutlich schneller verwittern als dass die desaströsen Spuren seines Handwerks verschwinden werden.
Alte Seilschaften 2 – Medien
Auch diese haben ihren Teil dazu beigetragen, dass über ein Jahrzehnt all das geschehen konnte. Das Abschalten des offiziellen Fanforums fußte auf der wahrheitswidrigen Behauptung, es habe Morddrohungen gegen Manager Hoeness gegeben. Da gab es eine Seilschaft zwischen dem damaligen “Mitglied der Geschäftsleitung” und mindestens einem Pressemann, der zu einem Netzwerk gehörte, welches sich einmal in einer gemeinsamen Redaktionsstube kennengelernt hatte und bis zu dem Beschluss, dass Hertha fortan medial mit “Säulen” arbeiten wolle, überraschend gut informiert war. Vor allem mit Dingen, die die Öffentlichkeit erfahren sollte und die dem Tun der “Mächtigen” nützlich waren. Dass seit diesem Zeitpunkt von einigen dieser Personen eine Art “außermediale” Opposition betrieben wurde, scheint auch kein Zufall zu sein. “Wes’ Brot ich ess, des Lied ich pfeif” mag ähnlich legitim sein wie “Erst kommt das Fressen und dann die Moral”, aber Fußballfans haben ein erstaunlich gutes Gedächtnis und merken sich so etwas. Dass auch andere Medienschaffende bis auf wenige Ausnahmen nur selten so etwas wie journalistische oder gar kritische Distanz zu Berlins langjährigem Sportthema Nr. 1 hatten, schmälert das oben Beschriebene nicht. Das kritischste an Hertha-Journalismus in der Ära Gegenbauer scheint somit die Lolita-Affäre gewesen zu sein und auch das lässt in Abgründe blicken, die ähnlich tief sind wie die Schillerschen Schuldenberge hoch.
Noch-Manager Fredi Bobic
Gerade hat er zugegeben, intern Unwahrheiten verbreitet zu haben, um Lecks zu finden. Was das war und ob er erfolgreich war, blieb genauso offen wie seine eigentlich zu erwartende Demut nach einer desaströsen Saison, in der er sicher viel Altlast von seinem Vorgänger abzutragen hatte, aber die sicher alles andere als der Erfolg war, als die er seine Kaderplanung zwischenzeitlich nach Ablauf der Transferperioden beschrieben hatte. Dass er nun einräumt, dass die Verpflichtung von drei Trainern eine “Niederlage” sei, wirkt etwa so glaubwürdig wie ein Milliardär, der sich mit zehn Euro Scheinen seine Krokodilstränen wegwischt. Von seinem Vorgänger hat er den Umgang mit der Öffentlichkeit übernommen und entsprechend darf es auch nicht wundern, wenn es demnächst wieder “Erfolg auf allen Ebenen” heißt. Dass es ihm genauso wie seinem Vorgänger nicht gelingt, Talente bei Hertha zu halten und die giftig-aggressive Art und Weise, wie er mit Kritik umgeht, sind ein Fingerzeig, dass wir weder einem “Neuanfang” beiwohnen noch sonderlich groß auf Besserung hoffen sollten. Die nächste Trainerverpflichtung muss sitzen, sonst ist Fredi Bobic der nächste Spitzen-Manager auf überaus gut bezahltem Urlaub, sofern er seine Forderung nicht im Wege der Insolvenzforderung beitreiben muss.
Alte Seilschaften 3 – Die “Ex-en”
Ex-Trainer wie Pal Dardai oder Ante Covic bestimmten in den letzten Jahren nicht nur temporär die erste Mannschaft, sondern rückten von dort aus ins zweite Glied zurück und widmeten sich der Nachwuchsarbeit. Gerade Pal Dardai wirkte dabei immer wie ein Geist, der über jedem neuen Trainer schwebte und kaum ein Trainer polarisiert bei den Fans so sehr wie der knurrige Ungar. Für die einen der zweifache Abstiegsretter und zweifache Europaleagueteilnehmertrainer, für die anderen das personifizierte Fußballgrauen, welches mit “Hintenrumscheiße” noch euphemistisch beschrieben ist und der nach verlorenen Spielen nichts weiter als inhaltlose Stanzen wie “müsse akzeptiere” oder “jetzt härter trainieren” o.ä. in die Mikros zum Besten gab und der weder als modernes Taktikgenie noch wenigstens als “hinten sicheres Cantenaccio” auffiel, sondern eher als glaubensselig singender “Macht hoch die Tür, die Tor macht weit”-Kantonist. Dazu tummeln sich Ex-Spieler wie Zecke Neuendorf oder Axel Kruse im oder im Umfeld des Vereins, die einem Neuanfang und einer Neuaufstellung hinderlich sind.
Alte Seilschaften 4 – Die Fans
Ich habe lang überlegt, ob ich etwas zu “den Fans” schreibe, wohl weiß ich, dass es “die Fans” nicht gibt und Herthas Fanszene zu heterogen ist. Aber zu ein paar Protagonisten, die laut bzw. auch schweigend wahrnehmbar waren, muss man doch ein paar Worte verlieren, weil sie Teile des Problems erklären und gleichsam auch Teile des Problems sind. Fangen wir mit den
“Hauptstadtfans”
an, die meinen, Hertha müsse als Repräsentant der Hauptstadt schon per se erfolgreicher sein und besseren Fußball spielen und unterhalb der Champions League müsse man gar nicht anpeilen. Dass Hertha mal auf dem Arkonaplatz als Arbeiterclub gegründet wurde und in seiner Geschichte meist eher bettelarm und eher wenig erfolgreicher als das Modell “Hauptstadt Berlin” war, die schon zu Kaisers Zeiten am Subventionstropf hing, wird dabei genauso ausgeblendet wie die Tatsache, dass Berlin aufgrund demografischer Entwicklung sich bevölkerungstechnisch ständig erneuert und dies mittels Menschen passiert, die ihre Fußballsozialisation mitbringen. Hertha ist weiterhin eher graue Maus als Hauptstadtclub und auch wenn Herthas Öffentlichkeitsmacher sich noch so sehr Mühe geben, sich irgendwelchen “support the current thing” Kampagnen und dem gratismutigen Zeitgeist anzuwammsen, Herthas Imagekern bleibt eher der “briketthustende Schulletrinker in der Eckkneipe” als der “dutttragende Prenzlberg-Hipster mit dem Lastenrad”.
Die Gutmeinenden
All die, die sich in den letzten Jahren vor allerlei Vereinskarren haben spannen lassen, selbsternannte Herthakneipenretter oder Stadioninitiativen stellen eher unter Beweis, dass “gut gemeint” meist genau das Gegenteil ist von “gut gemacht”, zumal man nicht selten den Eindruck nicht los wird, dass es weniger um die Sache als um die Selbstinszenierung geht. Von dem bisschen offizieller Aufmerksamkeit betäubt war von diesen auch kaum Kritik an der Vereinsführung zu hören, die einiges selbst versiebt hat, z.B. der Umgang mit der angeblich so wichtigen Stadionfrage, die auch weiterhin ungelöst ist. Hier finden sich einige zusammen, die sich selbst legitimiert haben, für eine selbstdefinierte Mehrheit von Herthanern zu sprechen, obwohl diese Legitimation zweifelhaft ist. Wenn eines Tages im neuen Stadion die Ticketpreise außerhalb der dann kleineren Fankurve durch die Decke gehen und sozial Schwache sich keinen Stadionbesuch mehr werden leisten können, können dieselben sich ja als Freikartenverschenker inszenieren. Hertha bietet schließlich für fast alle Projektionsfläche.
Die “organisierten Fanszene”
Während der Pandemie beschloss diese, zumindest offiziell nicht im Stadion in Erscheinung zu treten, wenngleich der eine oder andere im Stadion gesichtet worden sein soll. Die Gründe dafür (z.B. personalisierte Tickets und z.T. sehr kleine Kontingente) konnte ich schon in Teilen nachvollziehen. Dass man sich nun nicht nur gegen Präsident Gegenbauer, sondern vor allem gegen den von diesem angeschleppten 375 Mio. € Investor stellt, zeigt an, dass dogmatischer Katechismus bisweilen wichtiger zu sein scheint als schnöder Pragmatismus. Man kämpft in einer Liga nicht nur gegen die FC Bayern AG, an der Audi, Allianz und Adidas beteiligt sind oder gegen die börsennotierte BVB KGaA, die für 40 Mio. € frisches Kapital nur mal schnell eine Kapitalerhöhung beschließen müssen, man kämpft eben auch gegen Konstrukte wie Wolfsburg, Leverkusen, Leipzig und Hoffenheim, deren Verluste von den Mutterkonzernen oder Mäzenen beglichen werden. Hertha war außerdem schon vor dem Einstieg von Windhorst ein Investorenclub, ohne die Gelder von KKR oder davor vom Ryobi-Boss oder dem angeblich selbstlosen Geheiminvestor wäre Hertha heute dort, wo sich andere Traditionsclubs wie Kaiserslautern oder die Münchner Löwen (und die trotz Investors) tummeln. Wer sponsorenfreie Trikots fordert oder investorenfreien Fußball, sollte dazu auch sagen, wie tief man dafür sportlich zu sinken bereit ist, zumal auch in unteren Ligen das Geld nicht auf den Bäumen wächst, sondern dort der Einfluss von Mäzenen, Investoren und anderen Geldgebern noch viel größer ist. Die Rolle, die man vor, während und nach dem Derby gespielt hat, dürfte auch zumindest diskutabel sein. Spieler zu zwingen, ein Trikot abzulegen, welches man selbst schon lange gegen schwarze Regenjacken getauscht hat, ist immerhin durchaus erklärungsbedürftig.
Die “Frustrierten” (frei nach Edmund Stoiber)
Und dann gibt es noch die, die sich wegen einem oder mehreren Erlebnissen schon längst von Hertha abgewandt haben und deren Herz dann doch am Verein hängt, die sich aber zu einem “Mitmachen” nicht durchringen können und ihre Interessenvertretung durch andere vollzogen lassen wissen wollen.
Egal, zu wem sich jeder zugehörig fühlt, ich kann jeden irgendwie verstehen. Und uns allen Fans ist wohl mit Abpfiff in Hamburg ein Stein vom Herzen gefallen, dass unsere Hertha nächste Saison wieder erste Liga spielt. Wir Fans haben alle eine bessere Vereinsführung und besseren Fußball verdient.
HaHoHe, Euer Opa