Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2022, Allgemein, Spieltag

Der Dampfer trägt Trauer

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(opa) 1:4 stand es nach 90 Minuten im Oly. Abfeiernde Unioner und frustrierte Herthaner verließen in Stimmungslagen das Stadion, die unterschiedlicher nicht sein konnten und es wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen, bis die emotionalen Wunden fürs erste verheilt sein dürften. Wer ernsthaft glaubt, dass das nur ein Fußballspiel war, scheint das Gemüt des fiebernden Fans nicht zu verstehen, welches vielleicht mit einem feurig-verliebten Liebhaber vergleichbar ist. Doch dazu später noch einmal mehr.

Rein sportlich betrachtet geht das Ergebnis sicher in Ordnung und die Niederlage hätte noch weit höher ausfallen können, wenn nicht Lotka im Kasten einige Chancen der Unioner in der ersten Halbzeit verhindert hätte. Ausgerechnet der, den man bei Hertha nicht haben wollte, hatte gefühlt am meisten Mentalität, sich gegen die Niederlage zu stemmen. Beim Rest war man sich nicht sicher, mit welcher Einstellung diese zehn aufliefen. Neben der Einstellung war es auch die Aufstellung, die mindestens mal Fragezeichen hervorriefen. In so einem Spiel ohne Not einen 18jährigen in der Startelf debütieren zu lassen, ist vielleicht nicht der klügste Schachzug des Trainers gewesen.

Die Aufstellung in einem eher ungewöhnlichen 4-1-2-2-1 kann man ebenso diskutieren und wurde vom Trainer selbst am Sonntag früh als im Nachhinein vielleicht nicht richtig bezeichnet und ist einer von vielen Bausteinen, weshalb man nicht nur das Derby verloren hat, sondern auch auf einem Abstiegsplatz steht. Der neue Trainer-Effekt scheint bereits verpufft, das Pfeifen im Wald, dass man die Klasse hält, ist bereits leiser geworden und die Durchhalteparolen werden von Spiel zu Spiel unglaubwürdiger. Nun mag es richtig sein, dass man gegen die direkten Konkurrenten punkten muss, mit der Einstellung von Samstag wird das aber nichts werden.

An den Fans lag und liegt es sicher nicht. Von den Rängen gab es eine tolle Choreo und durchaus beachtliche Stimmung, die sich jedoch zumindest auf Herthaseite nicht auf den Rasen übertrug. Die Gästefans zeigten beinahe vorhersehbar eine kleine Seenotübung und brannten nicht nur auf den Rängen, sondern schafften es auch, die Mannschaft nach vorn zu treiben. Union hat einen Lauf und hat in den letzten Jahren sehr viel mehr richtig gemacht als wir, weshalb die Ernte, die sie einfahren, durchaus nicht unverdient ist. Selbst der Abgang eines “Stars” brachte den Lauf nicht zum Stehen.

Bei Hertha kriselt es auf und neben dem Rasen. Ein Präsident, der einen Europaligisten übernahm und daraus einen Dauerabstiegskandidaten gemacht hat, einen Verlustvortrag biblischen Ausmaßes und eine Personalpolitik zu verantworten hat, der ohne Gegenkandidat gerade so wiedergewählt wurde und dessen Aktivitäten in Sachen Investor Relations mit “nicht vorhanden” noch euphemistisch beschrieben sind, scheint sich angesichts des medialen Störfeuers vor dem Derby auf einen Kampf um sein Amt einzustellen.

Gezielte Indiskretionen über den Investor werden von Seiten des Vereins durchgesteckt, der in solchen Situationen wie ein U-Boot plötzlich öffentlich auftauchende Axel Kruse poltert mit seiner Wolgaster Schnauze (Berliner ist er nicht) gegen den Mann, der Hertha mit 374 Mio. € eine beinahe einmalige Chance gegeben hat, sich sportlich und finanziell zu sanieren. Beides ist nicht eingetreten und die Perspektiven sind düster. Im Fall eines Abstiegs muss Hertha im November dennoch eine Anleihe von 40 Mio. € zurückzahlen und es scheint fast so, als hätte es die Zahlung der 374 Mio. € nie gegeben.

Dazu trägt neben falsch und zu teuer eingekauften Spielern auch der rasche Personalwechsel auf der Schlüsselposition bei. Derzeit kassieren nicht nur die Ex-Trainer Labbadia, Dardai, Korkut und Magath Gehalt, auch Ex-Manager Preetz noch Jahresgehälter, für die wir Normalsterblichen viele Jahrzehnte oder ein ganzes Leben lang arbeiten müssen. Für Manager Bobic zahlte man 5 Mio. € Ablöse und mit 3,5 Mio. € Jahresgehalt darf man auch von ihm bessere Performance erwarten als derzeit geboten wird. Seine Personalwechsel in der Geschäftsstelle und die Neubesetzung von Positionen wie Chefkaderplaner und Chefscout bringen nicht nur reichlich Unruhe in den Verein, sondern kosten eben auch Geld, welches Hertha nicht hat.

Wenn dann von den von ihm geholten Neuzugängen es kaum einer in die Startelf schafft, sagt auch das etwas über das Versagen aus, welches bei Hertha zu regieren scheint, während man andererseits einem Torwarttalent wie Lotka nicht nur das Versprechen verweigert, bei der U23 spielen zu können, sondern ihm noch weitere Torhüter vor die Nase setzt und am Ende wohl nicht einmal ein Gespräch gesucht hat. Das ist Indiz dafür, dass die Führungskultur bei Hertha einigermaßen toxisch sein dürfte.

Nicht umsonst forderten nun diejenigen, die sonst für Spruchbänder und Choreos bekannt sind, dass Gegenbauer gehen soll. Ein klareres Statement hat es selten zuvor aus dieser Richtung gegeben. Nur ob das reichen wird, um Gegenbauer abzuwählen? Zumal das Verhalten nach dem Derby nun auch die Fans spaltet. Während Teile des harten Kerns die Spieler, die sich den Fans stellten, dazu aufforderten, die Trikots auszuziehen, weil sie es nicht wert wären, die Fahne auf der Brust zu tragen, finden das andere ziemlich daneben, zumal das überwiegend die Spieler traf, die nur bedingt für die Lage verantwortlich waren.

Wie Maxi Mittelstädt, ein Berliner Junge, der vielleicht nicht der eleganteste Spieler ist, aber sich durchgebissen hat, sich nach der Jugend auch physisch unglaublich entwickelt hat und der sich unter den letzten Trainern einen Stammplatz erspielt hatte. Während sich Kapitän Boyata, der nicht einmal mehr Interviews gibt, es sich bereits in der Kabine bequem gemacht hat, traf Mittelstädt und andere der Zorn der enttäuschten Fans, die sich durchaus nicht nur für solche Aktionen auch selbst hinterfragen sollten, denn immerhin hat man den Präsidenten hier auch über ein Jahrzehnt den Verein in den Zustand führen lassen, in dem er heute ist.

Ein Zustand, der kaum besser sein dürfte als das Dampfer-Projekt, wo man irgendwie “hofft”, nächstes Jahr wieder schwimmfähig zu sein. Ob dann ein Liegeplatz vorhanden ist oder eine Genehmigung zur Beförderung von Passagieren, dürfte genauso unsicher sein wie die Frage, in welcher Liga Hertha in der kommenden Saison spielt. Und als wäre das alles nicht traurig genug, quengelt Hertha weiter wie ein bockiges Kind nach einem eigenen Stadion. Demut fühlt sich irgendwie anders an.

Der Dampfer kann also Trauerbeflaggung tragen, leck ist er schon wieder.

HaHoHe, Euer Opa

P.S.: Aus Pietätsgründen verzichten wir diesmal erneut auf die Wahl zu den TOP 5 Spielern.

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