(opa) “Oh wie ist das schön…” wurde vor dem Fernseher angestimmt, vor dem ich das Auswärtsspiel der Hertha in Nürnberg verfolgte, auch das “Hammerlied” wurde angestimmt, bis der überaus einseitig pfeifende Schiri den Treffer aus nur ihm ersichtlichen gründen abpfiff. Am Schiri hat es zwar nicht gelegen, aber wenn in dieser Saison die Tordifferenz eine Rolle spielen sollte, könnte das aberkannte Tor das Zünglein an der Waage spielen. Während Freude pur über das Ergebnis herrscht, muss dennoch Platz sein für eine sportliche Einordnung, die jedoch alles andere als positiv ausfällt. Herthas Glück war, dass Nürnberg immer wieder das Spiel machen wollte und so Konterchancen eröffnete, die Hertha gnadenlos ausnutzte. Die erste Halbzeit spielte im Wesentlichen nur Nürnberg, Tore schoss aber nur Hertha.
Es soll mir recht sein, wenn sich das ab sofort in jedem Spiel so wiederholt, aber sobald Hertha gefordert ist, das Spiel zu machen, wird es düster, denn das scheint die Truppe unter Trainer Leitl bislang nicht auf den Trainingsplan gehabt zu haben. Nun mag es sein, dass der verkorkste Saisonauftakt in den Köpfen steckt und man etwas verkrampft an die Sache geht, aber selbst bei einer 3:0 Führung wirkt der gesamte Spielaufbau irgendwie gehemmt. So etwas wie Mittelfeld existiert quasi nicht oder dient nur als Pingpong für die neueste Auflage der berühmten “Hintenrumscheiße”, wo sich die Viererkette mangels Anspielstationen den Ball quer vorm eigenen Spielraum hin- und herschießt, während der Trainer im Kopf sich schon wieder Stanzen über “Vertikalität” des Spieles oder die angeblich vielen Verletzten zurechtlegt.
Wie diese Gehemmtheit praktisch aussieht, zeigt sich in fast jedem Laufduell von Kapitän Reese. In der vergangenen Saison rannte er jedem Spieler davon, jetzt sind selbst als langsam geltende Verteidiger spielerisch in der Lage, ihm den Ball abzulaufen. Dass es dennoch zu zwei Torvorlagen reichte, ist natürlich erfreulich, dennoch müssen einem diese Umstände die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Reese ist derzeit außer Form und spielt wie einige andere aus dem Team weit unter seinen Möglichkeiten.
Positiv herausragend müssen allerdings auch einige genannt werden, darunter der 16jährige Kennet Eichhorn, der fleißig, diszipliniert und konzentriert die 6er Position beackert und zumindest defensiv eine herausragende Figur macht genau wie Torhüter Tjark Ernst, der körperlich zugelegt hat und viel Ruhe und Rückhalt ausstrahlt. Auch der vor einigen Wochen im tiefsten Formtief steckende Marton Dardai wirkt seit der Umstellung auf die Viererkette deutlich stabilisiert. Toni Leistner hielt mehrfach den Kopf hin und kassierte kurz hintereinander zwei Treffer, die jedoch keine Wirkung zeigte. Ein Mann wie ein Baum.
Dass ausgerechnet Defensivspieler in einem hoch gewonnenen Spiel herausragten, zeigt, wie widersprüchlich Fußball manchmal sein kann. Und wie dünn manchmal die Grenze zwischen Elend und Erfolg ist. Kommt ein Gegner, der Hertha den Ball überlässt und wo Hertha das Spiel machen muss, kann das Ergebnis gänzlich umgedreht aussehen, man kreiert dann keine Chancen und kassiert Konter. Es bleibt eine Menge Arbeit, dieses Team so zu stabilisieren, um der selbstauferlegten Favoritenrolle gerecht werden zu können.
Apropos Favorit: Die Favoritenrolle hatte Hertha bei der juristischen Auseinandersetzung mit Ex-Manager Bobic ohnehin nicht, nun hat man ein Ergebnis, welches man als die von vielen erwartete krachende Niederlage bezeichnen kann. Zur Ehrenrettung der aktuellen Vereinsführung kann man bestenfalls anführen, dass die Vorgänger den Vertrag nicht nur schlecht aushandelten, sondern auch unpräzise formulierten, aber diesen Prozess hat man im Wesentlichen zur Vermeidung der Herbeiführung von Insolvenzmerkmalen geführt. Auch wenn Dr. Görlich demonstrative Gelassenheit am Skymikrofon ausstrahlte, dürfte hinter den Kulissen mindestens mal gerechnet werden, aus welchen zusammengekratzten Quellen man die nunmehr fällige Zahlung geleistet werden soll.
Der Gürtel wird deutlich enger geschnallt werden müssen, vorzeitige Entlassungen von Managern oder Trainern sowie etwaige Verstärkungen im Winter werden damit unrealistischer, weil man sich das schlicht nicht wird leisten können. Selbst den Verkauf von benötigten Leistungsträgern oder Talenten im Winter sollte man nicht ausschließen, weil es schlicht alternativlos sein könnte. Wie man unter diesen Umständen die versprochenen Tilgungszahlen von der Anleihe leisten will, bleibt ein weiteres Rätsel, womit die finanzielle Konsolidierung eventuell wieder in die Zukunft geschoben wird.
Aus solchen Zusammenhängen entstehen Teufelskreisläufe, aus denen es fast unmöglich erscheint auszubrechen. Umso wichtiger für die Fanseele, dass man sich mit dem Sieg am Sonntag zumindest fürs erste aus dem tiefsten Tabellenkeller entfernt hat. Also durchatmen, weiter aufs Beste hoffen und mit dem Schlimmsten rechnen. Am Samstagmittag kommt mit Preußen Münster ein Ligakonkurrent aus dem Mittelfeld, die Erwartungen des Publikums dürften nach den letzten Auftritten im Olympiastadion überschaubar sein. Umso wichtiger wäre es, mit dem nächsten Dreier einen Befreiungsschlag zu schaffen und mit etwas mehr Ruhe in die darauf folgende Länderspielpause zu gehen.
Etwas, was man Trainer Leitl nicht vorwerfen kann, ist, dass er nicht andere Spielsysteme und Aufstellungen ausprobiert. Nicht selten sorgen seine Aufstellungen schon vor dem Spiel für Fragezeichen, die sich während des Spiels dann aber oft auch nicht auflösen lassen. Solange das Ergebnis passt, soll es uns recht sein, aber falls nicht, stellen sich eben weiter viele, viele Fragen, die sich mit dem von ihm vorgebrachten Begründungen wie angeblichen Verletzten nicht beantworten lassen. Aber vielleicht kriegt er ja noch die Kurve und bringt dem Team fußballerische Grundtugenden bei, mit denen man phasenweise doch gar nicht so schlechten Fußball darbietet. Wenn das über längere Zeiträume funktioniert, könnte es sogar auch noch etwas mit den Aufstiegsrängen werden.
HaHoHe, Euer Opa