Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2024, Allgemein, Mitgliederversammlung, Transfers

Die letzte Ölung?

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(opa) Die Interpretation des Ergebnisses der gestrigen Mitgliederversammlung, die mit über 8 Stunden als längste der Geschichte Hertha BSCs war, ist in vollem Gange. Die einen feiern den Sieg der Fans über das Geld und den “neuen Realismus”, für den der neue Präsident stehen will, während die anderen grollen und schmollen, obwohl sie in ihren Bewerbungsreden volles Engagement für Hertha versprochen hatten. Der Ausgang des gestrigen Tages war jedenfalls ein gutes Beispiel, an dem man den Unterschied zwischen siegen und gewinnen deutlich machen kann. Es gab einige Sieger, aber keine Gewinner.

So sehr ich den Wunsch der Fans nachvollziehen kann, sich von den Auswüchsen des Profifußballs zu emanzipieren, so deutlich muss man auch sagen, dass sich Realitäten nicht herbeiwählen lassen und man Investoren nicht einfach abwählen kann, nicht einmal dann, wenn sie pleite sind. Es scheint auch unwesentlich zu sein, ob man das nur aus Naivität, nicht vorhandener Bildung oder aus ideologischer Verblendung heraus nicht weiß. Hertha droht in der laufenden Saison Punktabzug wegen des negativen Eigenkapitals, vielleicht wird es auch nur eine Geldstrafe, wobei die sicher noch weniger hilfreich wird. Vielleicht rettet man sich mit dem neuen Ausrüsterdeal, wobei man dann nur das täte, was man ja nicht mehr tun wollte, die Einkünfte der Zukunft schon heute ausgeben.

Damals, als diese Form des Finanzmanagements etabliert wurde, tat man das in der Absicht, später mit Einnahmen aus internationalem Geschäft Löcher zu stopfen, heute tut man es, um irgendwie den nächsten Tag zu überleben. Der Patient Hertha liegt entgegen der Ansichten einiger immer noch auf der Intensivstation und bedarf weiter intensiver Versorgung, zu der auch eine Neuaufstellung in Sachen frischen Geldes gehört, denn allein aus eigener Kraft wird sich in Deutschland kein Zweitligist erholen und schon gar nicht mit so negativen Voraussetzungen wie Hertha BSC. Dass man trotz dieser Zwangslage immer noch Luftschlössern wie Stadionbauplänen für 250 Mio. € plus x nachhängt, zeigt, wie entrückt diejenigen sind, die sich gestern mit Verweis auf ihre Bodenhaftung haben als Wahlsieger feiern lassen.

Zugute halten muss man den Wahlsiegern aber, dass die Herausforderer es ihnen sehr einfach gemacht haben. Der eine mit zu viel Polterei und zu viel heißer Luft, der andere unter wenig glaubwürdiger Berufung auf einen Toten und mit einem schlecht vorgeführten Zaubertrick in Form eines Umschlags, in dem nichts stand, womit man das Publikum hätte in dem Moment beeindrucken können. Wer die Mitgliederversammlung von Hertha für sich gewinnen will, braucht mehr als das, weil das sonst am Ende auch nicht sehr viel besser wirkt als mit einer Badehose in Reichsfarben herumzufuchteln oder John F. Kennedy zu zitieren, dessen Rede nun auch schon über 60 Jahre her ist und rund die Hälfte der Mannschaft des Sommers 1963 tot.

Die Sieger des gestrigen Abends sollten sich allerdings gewiss sein, dass sie nun liefern müssen. Und da Präsident und Vize ja bereits vorher im Präsidium und Interimsamt saßen, werden sie auch keine Schonfrist bekommen, keine 100 Tage und schon gar nicht 10 Spieltage. Die Liste der Aufgaben ist genauso lang wie unattraktiv:

  • Sportliche Ziele setzen und erreichen
  • Punktabzug in der laufenden Saison wegen des negativen Eigenkapitals abwenden
  • Lizenz für die Spielzeit 2025/26 erhalten
  • Ausrüstervertrag abschließen (und nicht alles Geld auf einmal ausgeben)
  • Attraktivität für Sponsoren steigern
  • Eigene Talente aus der Akademie in die erste Mannschaft holen und sowohl sportliche als auch finanzielle Rendite daraus ziehen
  • ein tragfähiges Stadionkonzept vorlegen
  • Gräben im Verein zuschütten
  • Investor Relations betreiben

Sportliche Ziele für die laufende Saison wurden konkret keine nach außen kommuniziert (oder wieder einkassiert), aber klar ist, dass man finanziell am extremen Rande dessen operiert, was gerade noch so zum Lizenzerhalt zulässig ist. Man leistet sich weiterhin vergleichsweise teure Pakete wie Reese oder Maza, die man völlig unabhängig vom sportlichen Ergebnis in einer Folgespielzeit weder halten noch sich leisten können wird. Selbst wenn beide zu Rekordsummen (die eben nur durch Zweitligaverhältnisse rekordverdächtig werden) gehen sollten, drängen sich Zweifel auf, ob sich das gelohnt haben dürfte, denn auch das restliche Team wird dadurch finanziell auf ein Niveau gehoben, dem es sportlich nicht entspricht.

Hier dürfte am deutlichsten werden, dass es bei Hertha sowohl am finanziellen als auch am sportlichen Sachverstand in der Führung fehlt. Andererseits: Wo soll der auch herkommen, wenn die Mitglieder so entscheiden? Mit Drescher wurde ein Jurist zum Präsidenten gewählt, der mit Herrich ebenfalls einem Juristen die Geschäfte anvertraut. Dem hatte man zwar mit Huschen einen Finanzexperten an die Seite gestellt, der ausdrücklich für die “Sanierung und Restrukturierung” geholt wurde, die Zahlen hat dennoch Herrich präsentiert und wurde in diesem Zusammenhang “Finanzgeschäftsführer” betitelt, was die Frage aufwirft, was sowohl Huschen so den lieben, langen Tag macht als auch, wer sich bei Hertha eigentlich in der Geschäftsführung ums operative Geschäft kümmert, welches ja irgendwie Profifußball lauten soll.

Insofern wirkt Hertha wie ein Sterbender, bei dem das Erbe schon verteilt ist, während der Patient noch dahinsiecht und man sich noch an den letzten Resten der kargen Rente labt, die noch überwiesen wird. Die letzten attraktiven Posten wurden ja auch in weiser Voraussicht schon vor der gestrigen Wahl verlängert, das schafft Loyalität, ist aber auch das Signal, dass man mit den Ergebnissen zufrieden scheint, die nüchtern betrachtet eher eine Art Palliativversorgung denn Pflege zur Wiederherstellung des Patienten scheint.

Wenn das gestern gewählte Präsidium nicht nur als Verweser einer langen Vereinstradition wahrgenommen werden möchte, wird es die knifflige Aufgabe lösen müssen, unter schweren Rahmenbedingungen überraschende Ergebnisse zu erreichen. Wünschen wir ihnen dafür gutes Gelingen.

HaHoHe, Euer Opa

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