Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2023, Spieler im Fokus

Sünde und Vergebung

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(opa) Anlässlich des heutigen Prozessausgangs gegen den zum Stand des Verfassens des Artikels immer noch suspendierten Torhüters Marius Gersbeck, dessen Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße nach Diversion eingestellt wurde, ist die Debatte um den richtigen Umgang mit dem Vorfall erneut entbrannt. Und wie so oft gibt es in solchen Fragen kein “eindeutig richtig” und kein “eindeutig falsch”. Eindeutig richtig ist lediglich das, was im Rahmen der Verhandlung festgestellt wurde. Marius Gersbeck wurde von seinem Opfer provoziert, er hat ihn verprügelt und verletzt. Im Gerichtssaal richtete er entschuldigende Worte an sein Opfer und reichte diesem die Hand. Der Rechtstreit ist damit, Eintritt der Rechtskraft vorausgesetzt, erledigt.

Die Debatte, wie es nun weitergeht, wird nun sowohl in den Gremien bei Hertha als auch unter den Fans geführt und ich versuche einmal, (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) die wesentlichen Argumente beider Seiten abzubilden:

FÜR einen Widerruf der Suspendierung spricht:
– Gersbeck hat tätige Reue gezeigt
– Gersbeck ist nicht als Straftäter verurteilt und gilt formal als nicht vorbestraft
– Gersbeck ist durch den Vorfall, die Geldbuße in Höhe von 40.000 €, die gezahlte Diversion (es ist von 500.000 € die Rede), den Reputationsschaden und ggf. durch Gehaltskürzungen bereits ausreichend gestraft
– Hertha könnte einen erfahreneren Torhüter im Team gebrauchen

GEGEN eine Weiterbeschäftigung von Gersbeck spricht:
– Glaubwürdigkeitswiderspruch in Sachen Social Responsibility wie die Hertha-Stiftung, wo man sich eindeutig gegen Gewalt distanziert.
– Glaubwürdigkeitswiderspruch, wenn man gegen Ex-Manager Bobic mit dessen Androhung körperlicher Gewalt gegenüber einem rbb Reporter dessen fristlose Kündigung begründet, bei Rune Jarstein wollte man sogar mit einem vergleichsweise simplen “Arschloch” eine fristlose Kündigung begründen
– Verantwortung des Arbeitgebers, seinen Angestellten vor möglichen Protesten von Fans zu schützen, die keine Weiterbeschäftigung wünschen
– Mit Ernst und Kwasigroch hat man zwei großartige Torwarttalente, die den Ausfall von Gersbeck bislang kompensiert haben

Ich selbst würde mich als Richter für befangen erklären und bin zudem hin- und hergerissen. Einerseits erinnere ich mich, wie Marius als damals unbekanntes Torwarttalent in der Ostkurve neben mir stand, ich bin mit seinem Vater bekannt und ich würde ihn schon allein deshalb eine Vergebung nicht verweigern. Andererseits ist da das nicht zu unterschätzende Thema der Glaubwürdigkeit in Sachen “social responsibility”. Gewalt ist ein ernstzunehmendes Problem und Gewalttaten eigentlich nicht zu tolerieren.

Andererseits beugt Hertha die Glaubwürdigkeit derzeit bis zum Bersten, wenn man entgegen eigener Bekundungen sich nicht anständig von ehemaligen Spielern und Funktionären verabschiedet, Wettanbieterkohle nimmt oder wie beim gestrigen Launch des Sondertrikots eben nicht die Hälfte des Kaufpreises, sondern nur 5 € für Bolzplätze spendet. Wir leben nicht in einer idealen Welt, aber Hertha trägt derzeit auch nur extrem wenig dazu bei, dass die Welt besser wird.

Dazu gehört auch, dass man klammheimlich Änis Ben-Hatira mit einem Vertrag ausgestattet hat. Zwar hat Hertha das nicht offiziell verkündet und eine Anfrage an die Presseabteilung von Montagvormittag ist auch am Donnerstagnachmittag noch unbeantwortet, aber der Tunesier stand beim letzten U23 Spiel im Kader und saß als Ersatzspieler auf der Bank. Ein Spieler, der gewalttätig gegenüber einem Mitspieler war und dazu in einem Interview einigermaßen uneinsichtig “Das war sicher nicht das Schlimmste, was ich bei Hertha gemacht habe” gesagt hat, dazu den später bundesweit verbotenen “Ansaar International” Verein unterstützt hat, der im Verdacht stand, zur Finanzierung der palästinensischen Terrororganisation Hamas und islamistischer Gruppen im syrischen Bürgerkrieg zu dienen. Und seine das Existenzrecht Israels offen in Frage stellenden Posts auf social media. So einen beschäftigt Hertha auch, obwohl dieser nicht einmal einen Ansatz von Reue zeigt, weshalb also nicht Gersbeck? Aber soll das der Maßstab sein?

Wo also sollte die Grenze liegen? Als gläubiger Katholik kenne ich unzählige Bibelstellen, in denen es um Vergebung geht, zu der wir angehalten sind, damit uns unsere eigenen Sünden eines Tages vergeben werden. Vergebung schafft auch die Voraussetzung für inneren Frieden. Und so könnte Hertha doch etwas zu einer besseren Welt beitragen, wenn jeder von uns seinem inneren Frieden etwas näher kommt.

Ich akzeptiere aber in dieser Sache jede abweichende Meinung, denn es gibt kein objektiv richtig und kein objektiv falsch, immerhin gibt es seit heute ein Urteil. Und wenn man schon keinen inneren Frieden findet, dann doch bitte wenigstens Rechtsfrieden.

HaHoHe, Euer Opa

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