Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2022, Allgemein, Spieltag, Transfers

Im Osten nichts Neues

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(opa) Es war gestern wie alles wie immer. Etwa 3000 Herthaner trafen sich nach dem Aufruf der Fanszene am Treptower Park und wurden von der Staatsmacht zum fleißigeren Laufen animiert als es später die Spieler von Hertha in der alten Försterei tun sollten. Fast 20.000 Schritte standen abends auf dem Schrittzähler. Doch der Reihe nach. Eigentlich wollte ich ja gar nicht ins Stadion, aber ein Freund rief mich in der Woche vorm Spiel an und fragte, ob ich ihn begleiten wolle. Welche Wahl hatte ich also? Und so traf ich mich mit ihm zum Morgenkaffee und wir liefen zum Treffpunkt, ohne zu ahnen, dass wir diesen Weg im Prinzip umsonst gemacht haben, denn wenig später liefen wir fast dort vorbei, wo wir losgelaufen waren.

Die Puschkinallee entlang ging es unter Begleitung von Behelmten und einem Hubschrauber am Haus Zenner vorbei, über die Bulgarische Straße und Köpenicker Landstraße zum S Bahnhof Plänterwald. Auf dem Marsch wurde viel gesungen, nach meinem Eindruck noch mehr getrunken und das eine oder Vorfreudenfeuer entzündet. Fußballfolklore mit vielen bekannten Gesichtern, die man pandemiebedingt zum Teil lange nicht mehr gesehen hatte. Mit einem Sonderzug ging es von Plänterwald ohne Halt durch bis Spindlersfeld, wo dann der Mob geschlossen über die Brücke zur alten Försterei geführt wurde.

Dort angekommen sollten wir zum Busparkplatz gehen, um die dort hinterlegten Tickets in Empfang zu nehmen. Das wird mit Sicherheit auch zwischen Verein uns Sicherheitsbehörden abgesprochen gewesen sein, ein motivierter Einsatzleiter hatte jedoch den Zugang vom Stadion Richtung Busparkplatz absperren lassen und so gab es kein Herankommen an Karten. Da wir auch nicht die einzigen waren, die das Problem hatten, heizte sich recht schnell die Stimmung auf, zumal auch die herbeigerufene Fanbetreuung zunächst erstmal keine Abhilfe schaffen konnte. Ein bißchen Gedrängel und Geschubse später, welches zu einer Festnahme führte, wurde dann die ohnehin unnötige Sperre dann aufgehoben und alle konnten sich frei bewegen, ein paar im Mob der Herthaner eingeschlossene Unioner inclusive, die auch nicht passieren durften.

Seit vielen Jahren schon ist der Einlass auf Gästeseite in Köpenick nicht nur für Herthafans eine Katastrophe. Man steht auf einem kleinen Waldweg an der Wuhle und es geht nichts voran und der Blick auf die Uhr, das Gedränge, die Hitze und die Vorfreude lässt einen irgendwann ungeduldig werden. Das ist auch im Vergleich mit unteren Ligen so mit der schlechtorganisierteste Einlass des deutschen Fußballs, den ich bislang erlebt habe. Selbst in Darmstadt (vorm Umbau) war das besser organisiert, obwohl sonst das Stadion den gesamten Charme des Balkans oder der dritten Welt verprühte. Nun ja, wir waren ja gekommen, um etwas hauptstädtische Kultur in die Provinz zu bringen.

Drinnen war es dann auch zunächst unmöglich, am einzigen Bratwurststand etwas zu Essen zu bekommen, die Schlange schien zu lang und die Tatsache, dass es ohnehin nur alkoholfreies Bier gab, machte auch keine Schaffung einer Grundlage erforderlich. Im Block gab es wenigstens ohne Anstehen etwas zu trinken und wenn man sich wie ich ob des fortgeschrittenen Alters mittlerweile am oberen Ende des Blocks aufhält, den Bierstand gleich im Rücken, hat man wenigstens einen recht gutem Blick auf das Spielfeld. Vor ausverkauftem Haus sollte also die Stimmung auf den Rängen garantiert sein.

Zum Anpfiff gab es auf beiden Seiten eine Fähnchenchoreo, die wohl nicht nur mich ein wenig an Nordkorea erinnerte, zumindest war das meine Assoziation. Aber hübsch ausgesehen hat es im Nachhinein auf jeden Fall. Von dem, was man zwischen den minutenlang geschwenkten Fähnchen vom Spiel sehen konnte, begann Union von Anfang an als Hausherr dominierend aufzutreten und schien die Schwachstellen in Herthas System ziemlich präzise ausgeguckt zu haben. Herthas Defensive konnte einem schon beinahe ein wenig leid tun, vor allem Torhüter Christensen litt unter der Tatsache, dass Herthas Offensive den Ball nicht behaupten konnte und von den Unionern so nicht nur weitgehend aus dem Spiel genommen wurde, sondern dafür sorgte, dass es öfter brenzlig wurde als es der ohnehin kaum schmeichelhafte Pausenstand auszudrücken vermochte.

Das erste Gegentor erzeugte auch keine Gegenwehr, man spielte einfach den selben Stiefel runter. als wäre man selbst gerade in Führung gegangen. Es drängt sich nicht gerade der Eindruck auf, dass der neue Herthatrainer ein Taktikfuchs ist, zu durchsichtig das System, welches nicht nur darunter leidet, dass die Abstände zwischen den mannschaftsteilen zu groß sind, sondern darüber hinaus auch einige Positionen individuell nicht optimal besetzt sind. Kenny ist nicht unbedingt ein Upgrade zu Pekarik, mit dem davor die Defensivarbeit meistens verweigernden Lukebakio ist das aber ein offenes Scheunentor. Was hinter der Idee steckt, mit drei eher zentral denkenden Spielern im Mittelfeld gegen einen Gegner mit Außenüberlegenheit anzutreten, dürfte wohl nur Trainer Schwarz wissen. Erklären konnte er es auf der Spieltags-PK jedenfalls nicht und es drängte sich der Eindruck auf, dass das vielzitierte “Es fehlt an Intellekt” dann doch eine der Ursachen erklären könnte.

In der Halbzeit gab es erfreulicherweise keine albernen, von irgendeinem Unternehmen präsentierten “Mätzchenspiele”, sondern der Stadionsprecher verlas Grüße von Unionern an Unioner, gratulierte anwesenden Geburtstagskindern und nicht anwesend sein könnenden Frischvermählten. Wenn es nicht Union wäre, die in den letzten Jahrzehnten ihr Image so professionell wie schmierig auf einer klebrigen Ostalgie aufgebaut haben, müsste man diesen Verein u.a. deshalb fast schon irgendwie sympathisch finden. Dass dahinter ein sehr professionelles Konzept steckt, welches die Fans mit einem Gefühl von familiärer Heimeligkeit einlullt und auch aus der Feder der Abteilung Desinformation eines ehemaligen Ministeriums stammen könnte, in dem der Präsident unwissentlich seinen “Wehrdienst” abgeleistet haben will, darf und soll nicht unerwähnt bleiben. Es waren damals dieselben Spalter, die auch heute immer noch unentwegt spalten.

Nach dem Wiederanpfiff gingen die Unioner leider gleich wieder in Führung, die ohnehin schon übersichtliche Laune war im Keller und auch wenn sich die Vorsänger noch so sehr Mühe gaben, ihr Programm abzuspulen, dürfte auch die Auswahl des Liedguts verhindert haben, dass die Herthaspieler eines Derbys würdig rannten. Das Lied “Hertha und der KSC” mag vielleicht Fanromantiker beflügeln, die sportliche Regalhöhe beider Vereine dürfte für keinen Spieler ein Sehnsuchtsort sein. Und so wurde weiter pomadig gelaufen, ins Nichts geflankt und das Tor meist weit verfehlt, der Anschlusstreffer war zwar schön, kam aber zu spät und war vor allem zu wenig.

Dass sich am pomadigen Auftritt nichts änderte, lag auch daran, dass Trainer Schwarz zur Pause keine Wechsel vornahm und dann eher nach und nach Kohlen ins Feuer legte, als es schon zu spät war. Ejuke mal wieder auffällig, aber Aktionismus allein findet weder Mitspieler noch das Tor und wenn man dann irgendwann Darida bringt, dürfte das Signal ohnehin eher sein, dass man einfach nicht noch höher verlieren möchte. Und so schlurften die zweitausend Herthaner, die den Weg in die alte Försterei gefunden haben, ziemlich bedröppelt Richtung Ausgang, der wie beim Einlass auch beim Auslass auf dem Sandweg an der Wuhle verrammelt war, um die Herthaner gesammelt zum S Bahnhof Spindlersfeld marschieren zu lassen. Ohne Schlachtrufe, ohne Feuerwerk, ohne gute Laune.

Dass der Marsch immer wieder unterbrochen wurde, weil man auf Nachzügler wartete, die sich dann durch die Masse nach vorn drängelten, um noch ein Erinnerungsfoto an einen Tag machen zu können, an den ich mich jedenfalls nicht zurück erinnern möchte, war einerseits Randnotiz, andererseits Ausdruck der Tatsache, dass diejenigen, die dem Verein durch die Wahl eines fannahen Präsidenten ein neues Image verpassen wollen, sich selbst dann doch eher als die neuen Seilschaften verstehen, die nun Kalif anstelle des Kalifen sind. Dass die Schatztruhe leer ist und obendrein einen tiefen Boden hat und dass die besten Pferde im Stall eher fußlahm sind, ändert sich auch nicht, wenn man einen der seinen an die Spitze wählt. Hertha steht ein langer, mühsamer Prozess bevor und wenn man den Turnaround im Kerngeschäft nicht schafft, nutzen die Veränderungen beim ganzen Drumherum nur herzlich wenig, wenn man die Stadt zurückerobern will.

Hertha ist nicht erst seit gestern der Underdog und die sportliche Nummer 2 der Stadt, es ist die Aufgabe ausnahmslos aller Herthaner, sich an der erforderlichen Kehrtwende zu beteiligen. Doch wenn man genau hinsieht, sind da eher viele Isnoguds als eine Gemeinschaft. Wie gesagt, ein langer, mühsamer Prozess steht bevor. Da hilft es sicher, auch mal auf den Rat einiger alter Herthaner zu hören, die noch miterlebt haben, als TeBe, Tasmania oder BlauWeiß starke Konkurrenz oder sportlich vor Hertha waren, bevor sie alle irgendwann pleite waren. Herthas Pfund ist nämlich eine wirklich gewachsene, krisenbelastbare Fanbase, die leidgeplagt ist und auch die schlimmste Demütigung erduldet hat.

Union wird aufgrund des durchaus soliden Wirtschaftens uns in absehbarer Zeit nicht den Platz in der Stadt überlassen. Dieser muss zurückerobert werden, auf dem Platz genauso wie auf den Rängen. Aufs erste haben wir Fans wenig Einfluss, aufs letzte schon. Und so kann man am Montag früh, wenn wieder einer der Kollegen auf Arbeit sticheln will, als leuchtendes Vorbild für Resilienz dienen. Lass die mal feiern, irgendwann ist auch für die die Höhenluft zu dünn und im deutschen Profifußball stößt früher oder später jeder Verein an die Glasdecken, über denen nur einige auserwählte Vereine operieren, die einen aufgrund permanenten sportlichen Erfolgs, die anderen, weil Geld keine Rolle spielt.

Weder in der einen noch der anderen Liga hat einer der Berliner Vereine derzeit etwas zu suchen. Und so bleibt als Hoffnung für den geschundenen Herthaner, dass den Ikarussen aus Köpenick eines Tages das Wachs der Flügel zu weich wird und deren Landung im von trockenen Kiefern dominierten Forst Köpenick hart wird. Vielleicht kommt ja Hertha so zu einem eigenen Stadion, indem sie aus einer Insolvenzmasse einen leicht gebrauchten Sportplatz mit Tribünen auf dem Gelände Berlins erwerben? Im Januar ist das Rückspiel und wenn sie uns da noch einmal demütigen, denk ich zurück an Vereine wie Blauweiß, TeBe und Tasmania und wo deren Fußballalltag heute stattfindet. Dann doch lieber die verschrullte Tante Hertha.

HaHoHe, Euer Opa

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