Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2022, Allgemein, Spieler im Fokus, Spieltag

Guter Rat ist teuer

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(opa) Bei der Frage “was schreibe ich?” sitzt man als Autor oft vor einem leeren Blatt bzw. leeren Bildschirm und es gibt Tage, an denen fängt man immer wieder an, verwirft das Geschriebene wieder und legt auf der Suche nach Inspiration dann doch alles erst einmal wieder beiseite. Doch irgendwann muss man Worte finden, auch wenn man über Dinge schreibt, die einen rat- wie sprachlos zurücklassen wie das gestrige Spiel der Hertha und der derzeitige Zustand dieses, ja, wie soll man das benennen? Das ist keine Mannschaft, das ist kein Team, das wirkt wie eine schlecht orchestrierte Ansammlung von lustlosen Individualisten.

Wenige Sekunden nach Anpfiff der Partie klingelte es schon, obwohl Trainer Korkut vor der Partie so etwas wie “wir werden von der ersten Sekunde an hellwach da sein” verlautbaren ließ. Ein Pressschlag im Mittelfeld, der die Seite kreuzt, Räume öffnet und schon liegt der Ball im Netz. Das tabellarisch schlechteste Team der Bundesliga spielt gegen Hertha auf, als trete man gegen eine Jugendmannschaft an und kaum etwas scheint einfacher als derzeit gegen Hertha Tore zu erzielen. Nun kann man mal einen schlechten Tag haben, aber schon seit einiger Zeit fallen Tore zu leicht, zu oft und zu unnötig.

Das auf die Nichteingespieltheit der Innenverteidigung zu reduzieren, wird der Sache kaum gerecht. Angesichts der Coronaerkrankung des aus Stuttgart gekommenen Marc-Oliver Kempf und der Tatsache, dass Torunarigha nach Gent ausgeliehen wurde und Dardai jr. sich verletzt hatte, musste der 17jährige Linus Gechter ran und der machte seine Sache mehr als ordentlich. Und ein unglücklicher Gegentreffer wäre an sich auch nicht schlimm, wenn der Rest des Teams seinen Job erledigen würde, für den er jeden Monat üppig bezahlt wird.

Seit Korkuts durchaus nicht unumstrittenen Antritt sind nun 9 Ligaspiele und 1 Pokalspiel vergangen. Die Bilanz, die man nach diesen 10 Spielen ziehen muss, scheint ziemlich verheerend, denn mit einem Punkteschnitt von 1,00 Punkten pro Ligaspiel und dem verlorenen Pokalspiel ist diese schlechter als die des geschassten Vorgängers. Zwar spielt die Mannschaft einen deutlich anderen Fußball, der oft attraktiver und kreativer wirkt als der des Vorgängers, aber das Ergebnis ist leider noch schlechter als zuvor, weshalb es auch zu einfach wäre, das nur am Trainer festzumachen, wenngleich man ihn nicht von Kritik verschonen kann.

Eine taktische Aufstellung, wo Spieler auf Positionen spielen, die ihnen nicht behagen, dazu die Nichtberücksichtigung von Leistungsträgern, während andere Lowperformer eine Stammplatzgarantie zu haben scheinen? Das sind üblicherweise die Zutaten, wie ein Trainer die Mannschaft verliert und angesichts der Ergebnisse scheint dieser Zustand nicht mehr allzu fern zu sein. Zentral gut funktionierende Spieler wie Serdar auf außen oder wie Ascacibar gar nicht einzusetzen, beraubt einen an der Durchschlagskraft, an der es gestern mangelte, um gegen den nicht gerade übermächtig auftretenden Gegner Torchancen zu kreieren und umzusetzen.

Mit 26 zu 18 Torschüssen und 59 % Ballbesitz sagt die Statistik zwar, dass Hertha das bessere Team war, doch was nutzt es, wenn man das weder auf dem Platz noch auf der Anzeigetafel sieht? Ein einziger Punkt Vorsprung hält Hertha noch auf Abstand zum Relegationsplatz, die zweitschlechteste Tordifferenz von -21 ist ebenfalls kein Polster, auf dem man sich ausruhen kann. Und der Gesamtauftritt lässt leider kaum vermuten, dass man sich bei Spielern, Trainern oder Funktionären über den Ernst der Lage bewusst zu sein scheint.

Bobic hatte öffentlich damit gefremdelt, dass sich Dardai letzte Saison mit dicker Zigarre für den Nichtabstieg gefeiert hat. Nun muss er sich aber daran auch messen lassen, wenn er nach den letzten beiden Transferperioden verlautbaren lässt, man sei zufrieden und habe alles umgesetzt, was man sich vorgenommen habe. Wenn das Ergebnis das ist, was gestern zu sehen war, möchte man gar nicht wissen, wie schlecht es erst wird, wenn Bobic so unzufrieden mit seiner Arbeit ist wie es mittlerweile die meisten Fans sein dürften.

Die branchenüblichen Werkzeuge hat Bobic zudem bereits verbrannt. Hertha hat erneut den Cheftrainer gewechselt, hat bis Saisonende im Budget Labbadia, Dardai und Korkut auf der Payroll und es stellt sich auch die Frage, wer das denn übernehmen wollen sollte, der nicht gänzlich verzweifelt und kurz vor dem Einzug ins Dschungel-Trash-TV ist. Die perspektivisch gehandelten Namen wie Schmidt, Kovac oder auch Favre (als ob der nochmal unter Gegenbauer hier anträte, zumal der Weg zum Flughafen viel weiter geworden ist) erinnern mich eher an Attitüden des Clubs in Hamburg, der nun schon viele Jahre unterklassig kickt und wo man nach einem Sieg schon von Champions League faselt.

Hertha muss gar nicht nach oben oder zur Seite gucken. So lange das fußballerische Einmaleins derart miserabel läuft, verbieten sich beinahe alle Träume von besseren Zeiten. Warum kann bei Hertha aus einem Eckball heraus eigentlich seit Jahren keine Gefahr fürs gegnerische Tor entstehen, obwohl doch 4-5 Tage die Woche Training ist? Was machen die da? Halma spielen? Oder doch eher Mikado, wenn man an die Bewegungsabläufe denkt? Vom Zustand des Torwartspiels will ich gar nicht reden. Sieht denn niemand der vielen zu Saisonbeginn von Bobic eingestellten Experten und Ratgeber, dass und was da schiefläuft?

Der Karren steht im Dreck und muss schleunigst da von denen rausgezogen werden, die ihn hineinmanövriert haben. Und lassen wir uns auch nicht von denen ins Bockshorn jagen, die da meinen, die Schuld woanders suchen zu müssen. Herthas Situation ist nicht deshalb so schlimm, weil wir Fans zu ungeduldig wären oder der Senat uns im Weg stünde oder der Rasen nicht grün genug wäre. Hertha steht da, wo sie steht, weil schlechter Fußball gespielt wird, weil man sich in Sachen Kader verschätzt hat und weil man die eine Wagenburg durch eine andere Wagenburg ersetzt hat und man dort vielleicht anders, aber nicht besser arbeitet. Nur teurer.

Die nächsten Gegner heißen übrigens Leipzig, Freiburg, Frankfurt, Gladbach, Hoffenheim und Leverkusen. Das werden harte Wochen und man sollte sich schon einmal auf altbewährte Rituale gefasst machen. Die Aufholjägershorts könnten noch einmal wichtig werden für uns und Sprüche wie “willst Du Hertha oben seh’n, musst Du die Tabelle dreh’n”. Platz 14 kann ja keinen echten Herthaner wirklich erschrecken, der den Stürmer Fredi Bobic im blauweißen Trikot und dessen sagenumwobene Treffsicherheit in der damaligen Zeit erlebt hat. Schlechter kann er es als Manager kaum machen.

Ob die Geschichte mit “und es kam schlimmer” endet, werden wir in wenigen Wochen sehen. Bis dahin bleiben wir ratlos, wissen diese Ratlosigkeit in den Händen des Managements teuer bezahlt und bleiben vor allem das, was wir immer waren und sein werden: Leidensfähige Herthaner. HaHoHe, Euer Opa

P.S.: Unseren Wahlen gönnen wir nach der gestrigen Gala mal eine verdiente Pause. Mit Linus Gechter stand der Spieler des Spiels ohnehin schon fest, hinten sicher, vorne Tor – wenn doch alle so wären wie er, würde es uns allen besser gehen.

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