Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2020, Allgemein

Alles fair oder was?

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(opa) Da hat sich Man City vor dem CAS erfolgreich gegen die von der UEFA verhängte Sperre für internationale Wettbewerbe gewehrt und plötzlich fallen nahezu alle Kommentatoren in kollektive Empörung. Weil die Story des bösen, reichen Scheichclubs Klicks generiert? Weil tiefgründigere Gedanken dazu Zeit kosten, die sich heute kaum ein Journalist und auch viele Leser nicht mehr nehmen?

So sehr ich Verständnis für die Traditionalisten habe, die den Fußball von “früher” bevorzugen würden, wo Spieler in ihrer Freizeit und für ein bißchen Ruhm für ihre Stadt oder ihr Land kämpften, so sehr sollte man ehrlich zu sich selbst sein und wissen, dass diese Zeit vorbei ist. Seit Jahrzehnten übrigens. Und so fällt einem unweigerlich das Zitat von Jean Jaurès mit der Tradition, dem Feuer und der Asche ein, welches im Original so lauten soll:

“Nicht vergeblich hat die Flamme im Herd so vieler menschlicher Generationen gebrannt und gefunkelt; aber wir, die wir nicht stillstehen, die wir für ein neues Ideal kämpfen, wir sind die wahren Erben der Herde unserer Vorfahren: wir haben daraus ihre Flamme geholt, ihr habt nur die Asche bewahrt.”

Es liegt mir fern, den Club von Man City zu verteidigen, finanziert zunächst durch einen thailändischen Investor, der es dann an ein Investmentunternehmen in Abu Dhabi verkaufte und an dem heute zu rund 13 % noch ein chinesischer Investor beteiligt ist. Das klingt für nicht wenige mehr nach einem katzenstreichelnden Bösewicht aus einem James Bond Film als nach harter Realität am Investmentmarkt. Und letzterer ist der Fußball längst, so sehr ich das auch bedaure.

Transferentschädigungen, wie der Wert von Spielern beschönigend genannt wird, fließen längst ins abzuschreibende Anlagevermögen der Clubs, diese Zahlen sind real, der Markt ist real, auch wenn uns die immer irrer werdenden Summen bisweilen schwindelig werden lassen. Und wo viele Millionen hin und her fließen, zieht es eben auch magisch das in dieser Nähe oft befindliche Publikum an. Glücksritter, Zocker, “Spielerfrauen”.

Vor einigen Jahren versuchte man auf europäischer Ebene ein paar Dinge zu regeln und nannte das beschönigend “Financial Fair Play (FFP)”. Ein heutzutage beliebtes Mittel, Regeln, die eigentlich etwas ganz anderes bezwecken, einen Namen zu geben, als spräche man mit einem 5 jährigen, eine Bundesministerin treibt das regelmäßig auf die Spitze (aber das nur kurz am Rand gestöhnt). In Wahrheit hat FFP die Verhältnisse zementiert. Die Achtelfinalisten der Champions League sind seit Jahren nahezu identisch.

Jeder, der in diese Phalanx einbrechen will, MUSS quasi zwingend mit Investorengeldern operieren. Diese sind oftmals schwer zu durchschauende Konstrukte mit Sitz in irgendwelchen Steueroasen, in denen man es mit der Transparenz nicht so genau nimmt. Aber diese sind leider auch notwendig, um Neues entstehen zu lassen. Kein eBay, kein Microsoft, kein Amazon wäre ohne Investoren möglich gewesen. Siemens übrigens auch nicht. Und wir würden es als ganz selbstverständlich ansehen, dass ein Investor einen Markt durcheinanderwirbelt. Warum fremdeln wir also im Fußball damit?

Denn der angeblich böse Club aus Manchester eignet sich ja nur wegen seines Images als Scheichclub als Bösewicht. Dabei haben andere Großkopferte wie Real oder Barcelona ja auch allerlei Regeln gebrochen, um oben mitspielen zu können. Eigentlich verbotene Transfers von Minderjährigen über Kontinentgrenzen hinweg, Steuerstundungen, zu hohe Transferausgaben und andere Vergehen finden sich im Sündenregister nahezu aller europäischen Spitzenclubs.

Und so ist auch das in Deutschland so beliebte 50+1 Regelwerk das Papier nicht wert, auf dem es steht. Der BVB hat über 90 % seines Kapitals an der Börse verhökert, an den Bayern ist die halbe Industrieelite Deutschlands beteiligt, VW und Dietmar Hopp gönnen sich ihre eigene Sportabteilung und RB hat es perfektioniert. Die Bekundungen von Funktionären, an 50+1 nicht zu rütteln, ist leider reines Politikersprech. Denn in Wahrheit gibt es diese Regel schon lange nicht mehr.

Wäre es also an der Zeit für eine neue Offenheit? Sich einzugestehen, dass wir Anlagevermögen bei der Arbeit zujubeln? Sich einzugestehen, dass wir in Deutschland nur dann Spitzenfußball erleben werden, wenn wir “wettbewerbsfähig” werden? Ein wunderbares Sommerlochthema und ich bin auf Eure Gedanken gespannt.

HaHoHe, Euer Opa

P.S.: Ich bitte nachdrücklich darum, in diesem Blog für die nächsten Tage eine Coronapause einzulegen. Wer das Thema diskutieren möchte, findet sicher genug Alternativen. Vielen Dank vorab für das Verständnis.

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