(opa) Die Beurteilung des gestrigen Spiels hängt sehr stark davon ab, aus welcher Perspektive und aus welcher Erwartungshaltung heraus man diese vornimmt. Nur auf das Ergebnis betrachtet mag das enttäuschend gewesen sein, dass man zweimal eine Führung aus der Hand gab und somit wichtige Punkte für das Saisonziel liegen ließ. Zumal Hertha den Gegner zurück ins Spiel kommen lileß, weil man kurz vor den Gegentreffern das so eminent wirksame Pressingspiel für einen Moment zu lange unterließ, was dem Gegner, der zudem noch vom Moment des Trainerwechsels profitierte, erst die Räume bot, um Chancen zu kreieren und diese eiskalt nutzte. Streng genommen muss man sagen, dass sich Hertha in den letzten beiden Spielen gleich zweimal selbst geschlagen hat.
Dabei begann alles so schön, die erste Halbzeit fand fast ausschließlich in der Hälfte der Gastgeber statt, schon lange hatte man eine so dominante Hertha nicht mehr bewundern dürfen. Folgerichtig ging man eigentlich sogar mit drei Toren in Führung, wenn das erste Tor von Reese nicht vom VAR zurückgepfiffen worden wäre. Bis einschließlich des 2:0 stellten sich die meisten Zuschauer wohl nur die Frage, in welcher Höhe Hertha einen Auswärtssieg einfahren würde. Blöderweise schienen sich das auch einige Spieler aus Herthas Offensivabteilung zu fragen und gaben sich dem Schlendrian hin, einmal nicht gleich den ballführenden Spieler anzulaufen. Das Ergebnis war eine aus der Brille des neutralen Zuschauers sehenswerter Gegentreffer von Hrgota kurz vor der Pause.
Während die Fürther aus der Kabine heiß wie Frittenfett kamen, schien bei Hertha eher eine Art Schockstarre zu herrschen und so kassierte man in der 58. Minute das 2:2 und gab alles aus der Hand, was man sich erarbeitet hatte. Zwar fand man für einen Moment noch einmal das Heft des Handelns und ging in der 62. Minute durch Schuler wieder in Führung, doch man fand einfach nicht mehr in den Flow der ersten Halbzeit und kassierte neun Minuten vor Ende der regulären Spielzeit noch den Ausgleich. Aus dem Tritt war man wohl auch gekommen, weil man sich Unkonzentriertheiten und Schlendrian erlaubte und mit einem sich aufbäumenden Gegner nicht umgehen konnte.
Die Wechsel von Trainer Leitl brachten wohl auch mehr Verwirrung als Entlastung, zumal mit der Herausnahme von Dardai und später Eichhorn wieder wesentliche Teile der Aufbauachsen auseinandergerissen wurden. Nach der zwischenzeitlichen Siegesserie fühlen sich einige offensichtlich immer noch unschlagbar und nehmen ihre Aufgaben nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit wahr. Wenn die Offensivspieler nicht vorausverteidigen, fällt Herthas Defensive nicht selten auseinander wie ein Kartenhaus, was auch daran liegen mag, dass wir ohne Außenverteidiger spielen, mit Flanken von den Flügeln ist so jederzeit zu rechnen, was bei einem Torhüter mit Problemen in der Torraumbeherrschung einfach brandgefährlich ist.
Eine erste positive Entwicklung muss man diesmal Reese bescheinigen, nicht nur wegen seines Tores (bzw. Tore, wenn der Drecks-VAR es nicht zurückgepfiffen hätte), was leider keinen Knoten platzen ließ, sondern weil er zuletzt sehr viel mannschaftsdienlicher auftrat und wieder öfter anspielbar ist. Er mag noch nicht bei 100 % sein und ragt weiterhin nicht so weit heraus, dass es seine Sonderstellung im Team rechtfertigt, aber es geht in die richtige Richtung und wenn er in den letzten Wochen viel Kritik einstecken musste, hat er auch einmal ein Lob verdient.
Man mag sich damit trösten, dass mit dem gestrigen Unentschieden nichts verloren sein mag und vielleicht der Dämpfer der letzten beiden Spiele zum rechten Zeitpunkt kam, dass nun auch der letzte bei Hertha verstanden haben sollte, dass man voll konzentriert den Rest der Saison spielen muss und auch bereit sein muss, auf die Zähne zu beißen, wenn es nach diversen Sprints nötig ist, den Gegner noch einmal anzulaufen. Und wenn dann Trainer Leitl noch ein etwas besseres Gespür fürs Ingame Coaching entwickelt, könnte man wieder zurück in die Spur finden. Und es gab Zeiten, da hätte man das Ding gestern noch verloren.
Das soll kein Maßstab sein, aber doch eine Orientierungshilfe, denn die Weltuntergangsstimmung mochte sich trotz Enttäuschung nicht einstellen. Die Mängel sind einfach identifizier- und vor allem abstellbar. Allerdings sollte man sich bewusst machen, dass im Winter eventuell einiges ins Rutschen kommen könnte, wenn z.B. Eichhorn doch dem Ruf der großen weiten Fußballwelt folgen sollte. Dann wäre zwar Geld für Verstärkungen in anderen Bereichen da, aber es würde ein Loch entstehen, welches man wohl nicht gefüllt bekommt. Genießen wir also den Status Quo, der sich so schlecht nicht anfühlt: Man ist trotz Katastrophenstarts oben in Tuchfühlung dran, hat ein Team, was die Liga dominieren kann und kann sich höchstens selbst schlagen.
In einer Woche geht es zum letzten Spiel der Hinrunde daheim gegen das Team aus Ostwestfalen, die nur wenige Kilometer von der Porta Westfalica entfernt spielen, einem der Mahnmale für die deutsche Einheit von 1871, die sich auch damals schon für viele unvollkommen anfühlte, aber es ist manchmal besser, den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach zu haben und wer meint, nach nahezu täglichen Provokationen nach einem solchen Spiel wie gestern jeden Schritt in Richtung der deutschen Einheit als “großen Fehler” zu bezeichnen, kriegt hier zunächst zwei Wochen Sendepause, um die eigenen Synapsen zu kalibrieren.
Allen anderen wünsche ich einen besinnlichen dritten Advent und verbleibe mit einem HaHoHe, Euer Opa