Veröffentlicht am Kategorien 2. Bundesliga, 2025, Allgemein, Spieltagsnachlese

Last Minute Drama

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(opa) Die meisten dürften während des Spiels geschimpft haben wie die Rohrspatzen, denn das war über weite Phasen unglaublich schwere und schlechte Kost, die Hertha da im “Spitzenspiel” 8. gegen 13. anbot. Über weite Teile gab es ratlose “Hintenrumscheiße”, vor allem in der 1. Halbzeit, garniert mit allerlei Unsicherheiten und einem deutlichen xGoals Wert zur Halbzeit von 0,1 zu 8 und Hertha hatte Glück, dass zur Halbzeit die Null stand. Das lag u.a. am über sich hinausgewachsenen Tjark Ernst, der das Team im Zusammenspiel mit seinen Vorderleuten im Spiel hielt, auch wenn man mit eigenem Ballbesitz nichts anzufangen wusste, selten aus der eigenen Hälfte kam und Pässe oft in den Rücken oder kniehoch gespielt wurden.

Auch die stattliche Zahl an Bogenlampen war beidseits zu beobachten und ein deutliches Indiz dafür, dass das alles mögliche war, aber kein Spitzenspiel. Auch die Leistung des sog. Unparteiischen passte sich dem Spiel an, der bei einem taktischen Foul selbiges durch Vorteil anzeigte, dann aber keine gelbe Karte für Düsseldorfs Zimmermann gab, sondern stattdessen erst Eichhorn fürs Ballspielen gelb zeigte und dann den nicht an sich haltenden und hitzköpfigen Cuisance verwarnte. Das machte Herthas Unsicherheit im Spielaufbau übers Mittelfeld nicht besser, im Gegenteil. Dass Zimmermann später mit gelb-rot hätte vom Platz fliegen müssen, gehört auch zur ekligen Wahrheit dieses Spiels dazu und es ist ein Segen für den deutschen Fußball, dass Schiedsrichter Frank Willenborg seine letzte Saison pfeift.

In der zweiten Halbzeit präsentierte sich Hertha dann griffiger, aber wirklich zwingend gelang selten etwas und falls doch, vergab man beinahe schon künstlerisch vorm gegnerischen Tor, sei es Thorsteinsson, der eine scharfe Flanke 4m vorm Tor freistehend und unbedrängt versemmelte und dabei an den jungen Fredi Bobic erinnerte, als der als Spieler bei Hertha herumstümpern durfte, es in solchen Situationen aber wenigstens schaffte, den Ball noch ins Seitenaus zu befördern. Oder eben Reese selbst, der sich zuvor über seinen Mitspieler echauffierte, um dann selbst den Ball statt ins übers Tor zu löffeln. Diese Mannschaft, die es nicht schafft, als Team zusammenzufinden, besteht leider aus zu oft von sich selbst sehr überzeugten Individualisten, denen in entscheidenden Momenten die Nerven versagen.

Dass dann kurz vor Abpfiff in der Nachspielzeit dann Krattenmacher so einen Strahl raushaut, löste den sich über über 90 Minuten angestauten Frust und lässt die Herthagemeinde ruhig in die “Dreiheimspielewoche” blicken. Den Schuss macht er vermutlich in 95 von 100 Fällen nicht ins Tor, aber der passte einfach und es war ein Moment, den man als Herthaner in den letzten Jahren zu selten hatte. Dieser Moment, warum man sich das immer noch antut und doch nicht vor Abpfiff geht, obwohl die Kumpels, die Kneipe oder die Lieben daheim einen schon erwarten. Wieder stach ein Joker von Trainer Leitl, der sich allerdings die Frage stellen muss, wie er das Team Woche für Woche ausbalanciert bekommt.

Krattenmacher ist ein anderer Spielertyp als die alternativ zur Verfügung stehenden Mitspieler aus der Offensivabteilung. Und Krattenmacher ist nur geliehen und wird am Saisonende zu den Bayern zurückmüssen, während der Verein angesichts der prekären Finanzen darauf angewiesen ist, neben sportlichem Erfolg auch Werte zu schaffen, was eben nur mit Spielern geht, bei denen man über die Transferrechte verfügt. Vielleicht probiert es Trainer Leitl aber ja trotzdem einmal andersherum aus und lässt den einen oder anderen Joker mal von Beginn an ran und legt mit jemandem nach, der vielleicht einmal eine Pause gebrauchen könnte.

Und da fallen einem aus dem Reigen der Individualisten einige Spieler ein, die eine Denkpause gebrauchen könnten, wie sie Marton Dardai hatte und der nach seiner Pause die Chance nutzte, um sich zuletzt gefestigter zu zeigen. Vielleicht könnte man so auch die in die Spur zurückbringen, die sich trotz fraglos vorhandener individueller Qualitäten schwer tun, sich im Kollektiv zu bewähren? Ein Reese, der weiterhin neben sich steht, Zweikämpfe verliert, Mitspieler anmault, obwohl er selbst keine Topleistung abliefert? Oder hat der in seinem Vertrag Einsatzgarantien stehen? Dass er Kapitän sein muss? Entscheidet er mit über den Trainer? Oder ein Cuisance, der außer seiner Meckerei eher mit üblen Fehlpässen auffiel?

Das Kollektiv funktioniert nicht, das sieht man auch im Spielaufbau, wo zu selten eine Anspielstation da zu sein scheint und man dann doch den Weg über Ernst spielt, was an Dardaische Zeiten erinnerte, als Rune Jarstein gefühlt den meisten Ballbesitz hatte. Wenn dann doch mal ein langer Ball gespielt wird, rücken zu wenige nach, weshalb zweite Bälle kaum eine Rolle spielen und man sich fragen muss, wo denn das Mittelfeld in der Zeit ist und womit es sich beschäftigt. Spielen die in der Zeit Karten? Tauschen sie Frisurentips aus?

Überhaupt liefert dieses Mittelfeld von Eichhorn abgesehen jede Woche die Antwort, warum es trotz vorhandener Fähigkeiten eben bei Hertha im Mittelfeld der 2. Liga herumgurkt. Demme, Seguin, Winkler und Cuisance wirken wie ein Knäuel, stehen sich zum Teil entweder im Weg herum oder so weit voneinander entfernt, dass ein Passspiel nicht mehr möglich ist. Und abermals stellt sich die Frage, was man unter der Woche trainiert und im Training dafür tut, damit das besser wird. Denn jeder für sich bringt ja Fähigkeiten mit und es ist individuell betrachtet möglich, dass man zu dem Ergebnis kommt, man habe gut trainiert, nur da spielen halt keine Gegner mit.

Trotz des Sieges und des leichten Aufwärtstrends kann sich Trainer Leitl einigen Kritikpunkten nicht verschließen. Das Spiel gestern wurde durch das Glück des Sonntagsschusses entschieden. Ein Anlass zur Zufriedenheit lieferte es jedoch nicht, denn die Mängel sind so offensichtlich, dass das Pendel da sehr schnell auch in die andere Richtung schwingen kann. Vor allem das in game coaching scheint verbesserungsbedürftig, offensichtlich vorzunehmende Korrekturen scheint er weder vor noch während der Pause exekutieren zu wollen, wieder dauerte es bis zur 59. Minute, bis er das erste mal wechselte und durch Krattenmacher, Thorsteinsson und Grönning kam deutlich mehr Griffigkeit in die bis dahin pomadig vorgetragene Partie.

Pomadig war im Übrigen auch der Auftritt des diese Saison zum “Koordinator Sport” beförderten Sami Allagui, der im sky Interview große Schwierigkeiten hatte, seinen Job und seine Aufgabe zu erklären, die laut eigener Aussage daraus bestehen soll, “nah an der Mannschaft” und “im engen Austausch” mit Trainer, Sportdirektor und GF Dr. Görlich und eben “nah an der Mannschaft” zu sein. Was genau er außer dieser betonten Nähe koordiniert, bleibt rätselhaft. Der Tunesier, der in 72 Spielen für Hertha 17 Tore schoss, war aber schon in seiner Zeit als Spieler nicht als Wortakrobat bekannt, sondern galt als eher introvertiert und als Genussmensch und Feingeist, der sich schon damals mit Kunstsammeln beschäftigt hat.

Zurück zum gestrigen finale furioso, bei dem sich niemand beschweren hätte können, wenn es andersherum oder unentschieden geendet hätte. Der Fußballgott war gestern in blauweiß gekleidet und bescherte dem Publikum ein Herzschlagfinale allererster Güte, welches sich nach ekstatischem “I werd’ narrisch”-Jubel auf die geschundene Fanseele wie Balsam oder Wundcreme zu legen wusste. Fußball kann so grausam sein, Fußball kann so geil sein. Es sind wie bei der Liebe zwei untrennbar verbundene Seiten derselben Medaille, die beim gestrigen Münzwurf eben mal richtig fiel.

Genießen wir es, während das Team sich hoffentlich akribisch auf die nächste Aufgabe vorbereitet, Elversberg aus dem Stadion und sich selbst ins Achtelfinale zu schießen, welches kurz vor Weihnachten ausgetragen wird und uns Herthanern in der dunklen Adventszeit Hoffnung auf bessere Zeiten machen könnte.

HaHoHe, Euer Opa

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