Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2023, Allgemein

Verlustgeschäfte

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(opa) Es sind so unendlich viele Millionen, die Hertha in den letzten Jahren im Verlustvortrag als Ballast gesammelt hat. Es hat sich eine Bugwelle aufgetürmt, die längst mehrfach über die Bordwand geschwappt ist, der Dampfer stampft und rollt, vielen ist kotzübel, doch trotz Schlagseite kentert der Dampfer nicht. Allerdings darf es nicht verwundern, wenn im Laufe der Zeit der eine oder andere über Bord geht. Das kennen wir ja auch von unserem Rettungsboot und ist wohl kaum zu verhindern, wenn die See rau wird. Bei Winterstürmen klappt man als Kapitän brummig den Mantelkragen hoch, schaut geschäftig ins Fernglas und widmet sich anschließend auf bessere See hoffend der nächsten Buddel Rum.

Hertha hat mehr verloren als nur Euros oder Fans, auch das Ansehen hat massiv gelitten, was nicht nur an der eigenen Performance liegt, sondern weil es plötzlich einen Stadtrivalen gibt, der vormacht, wie man es wirtschaftlich mit Augenmaß trotzdem in die erste Liga schafft. Man muss ja Köpenick nicht zum Mekka machen und außer ein paar Verwirrten wird ja wohl auch kaum jemand ernsthaft konvertieren, aber dort hat man vieles eher richtig als falsch gemacht, während wir uns in einem trüben Spiegel der Vergangenheit sonnten und nicht mitbekamen, dass das wärmende Feuer verblichener Erfolge durch die Reibungswärme ersetzt wurde, die entsteht, wenn man über den Tisch gezogen wird.

In einer solchen Situation finde ich es eher verständlich, wenn sich der eine oder andere ermattet dem Ermüdungsbruch hingibt. Hertha als Hobby ist wohl nur für sehr Resiliente oder aber masochistisch veranlagte Zeitgenossen zu empfehlen. Wer wenigstens ab und an mal Erfolg will, ist bei Hertha leider falsch. Ob es gut ist, wenn nicht nur leidensfähige, sondern vor allem leidensbereite Fans verbleiben, wird die Zukunft zeigen, für Leistungsklima dürfte das kaum sorgen, wenn man danach giert, dass einem die Domina namens Hertha am nächsten Wochenende wieder mit Schmackes in die Eier tritt. Viele Herthaner schreien in solchen Momenten laut “Gib mir mehr!”, statt zu Mistgabeln zu greifen und Teer und Federn bereitzulegen.

Selbst auf den Mitgliederversammlungen ist erst Qual angesagt, Begrüßungsreden, Ehrung der Toten, endlose Berichte, wie erfolgreich man in Kategorien ist, die die meisten Herthaner eher als pittoresk denn als ernstzunehmend betrachten dürften. Die Kegler werden beklatscht, die U-Mannschaften sowieso, sobald es um die Profis geht, setzt man besser den Helm auf und kontrolliert den Sitz der durchstoßsicheren Weste, weil überall im Saal die Messer gewetzt werden und jeder Kalif anstelle des Kalifen sein möchte. Ab und an wechselt der Kalif zwar, das Ergebnis bleibt aber immer dasselbe. Insofern muss man denjenigen, die es schaffen auszusteigen, irgendwo ja auch Respekt zollen, während man auf dem Strafbock angebunden auf den nächsten Tritt und Fragen über den Bus nach Spandau oder die Helmhinterlegung wartet.

Herthaner waren aber schon immer irgendwie merkwürdig, denn wenn man ehrlich ist, waren die erfolgreichen Zeiten weniger Ergebnis guter Arbeit als Zufall, Glück und manchmal Schmier- und Schwarzgeld. Hoeness ließ Hertha durchaus von höheren Sphären träumen, hinterließ aber dennoch ein tiefes Loch, welches die Nachfolger vertieften, nicht ohne sportlich deutlich unerfolgreicher unterwegs zu sein. Diverse Dellen, Vorwegnahmen und nicht realisierter Einnahmen später mussten “Heuschrecken” das Kommando übernehmen, um die Patientin aufzupeppeln, die am Abgrund stand, an dessen Bruchkante es bereits bröckelte.

Mit einem umgekehrten Enkeltrick gelang es zwar, das größte Einzelinvestment im deutschen Fußball zu realisieren, daraus gemacht hat man ziemlich genau exakt nichts. Wenn man am Ende des Reichtums froh ist, Selke ablösefrei ziehen lassen zu können, kann irgendwie davor nicht alles richtig gelaufen sein. Wer will es da denjenigen verübeln, die sagen, dass ab sofort Schluss für sie ist? Die Zahl der Tage, wo ich mich (nun am Genfer See) auf die Parkbank zum mitlesenden Wilson setzen möchte, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen und auch ich hab nicht nur einmal darüber nachgedacht, den Bums hier zuzumachen.

Und dann denke ich an die Menschen, für die dieser Blog hier die Kerze der Hoffnung im Fester ist, die in der tiefsten Dunkelheit immer noch daran glauben, dass eines Tages der blauweiße Messias uns an Wunder glauben lässt von der Wandlung von Wasser in Freibier und der wundersamen Bratwurstvermehrung im Stadion, während Hertha mit einem 6:0 nach dem anderen die Meisterschaft, den Pokalsieg und einen international bedeutsamen Titel erringt. Ich hab mal gesagt, dass ich so alt werden möchte, dass ich noch miterlebe, dass Hertha zweimal hintereinander Deutscher Meister wird. Ich werde vermutlich über 400 Jahre alt.

HaHoHe, Euer Opa

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