Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2020, Allgemein

Was ist letzte Preis?

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(opa) Wer schon einmal etwas auf dem Gebrauchtmarkt (früher Zweite Hand, heute eBay Kleinanzeigen) verkauft hat, kennt diese Anrufe mit der in der Überschrift genannten Frage, die dann nicht nur oft dazu führen, dass dann derjenige trotzdem nicht erscheint, sondern das auch die Frage der Preisfindung offen bleibt. Ohnehin birgt kaum eine Frage ein solches Konfliktpotential wie die Frage nach dem Wert von etwas. Wer einmal eine gemeinsame Erbschaft oder eine Scheidung hinter sich hat, wird ahnen, was gemeint ist.

Wem dieses Erlebnis bislang erspart blieb, den müssen wir ein wenig aufgleisen, denn plötzlich muss man sich mit unterschiedlichen Begriffen wie Verkehrswert, Ertragswert, Nominalwert beschäftigen und nicht wenigen dürfte bei näherer Beschäftigung der Kopf rauchen, zumal keines der im deutschen Recht Anwendung findenden Wertermittlungsverfahren dazu führen dürfte, dass alle Beteiligten glücklich sind. Warum uns das in einem Herthablog beschäftigt? Ganz einfach, gestern wurde der Verkauf weiterer Anteile an den Investor Tennor verkündet und dieser Vorgang wirft Fragen auf.

Für 150 Mio. €, zahlbar in zwei Tranchen, eine zu 50 Mio. im Juli und eine weitere von 100 Mio. € im Oktober, hält Tennor nach Abschluss des Deals 66,6 % der Anteile an der KGaA. Hatte man sich beim initialen Einstieg von Tennor mit 125 Mio. € für 37,5 % der Anteile noch auf einen Unternehmenswert von 333,3 Mio. € verständigt, soll Hertha beim Nachschuss von 100 Mio. € für 12,4 % bereits 806,45 Mio. € wert gewesen sein und nun steigt bei 150 Mio. € für 16,6 % der Wert auf 898,2 Mio. €. Bald sind wir Milliardär?

Da es keinen geregelten, transparenten Markt für Anteile an ausgelagerten Profiabteilungen von Sportvereinen gibt, findet eine Preisfindung weniger über Angebot und Nachfrage statt als über die Willkürlichkeit des bilateralen Monopols. Beide Seiten sind einverstanden. Und beide Seiten profitieren davon. Tennor kann gegenüber seinen Investoren trotz Krise einen fiktiven Buchgewinn für die vorher investierten Gelder darstellen, Hertha freut sich über eine weitere Geldspritze, mit der man bei der ohnehin kriselnden Konkurrenz plündern gehen und sich verstärken kann.

Also alles eitel Sonnenschein im Staate Dänemark? Auf den ersten Blick ja. Und auf den zweiten? Befürchtungen, Hertha könne ja nur 100 % verkaufen, kann man damit entkräften, dass durch Anschmelzen weiteren Stammkapitals auch über die heutigen 100 % hinaus Geld am Kapitalmarkt generiert werden kann. Auch die 50+1 Regel ist nicht betroffen, da Hertha weiterhin allein über die Besetzung des Komplementärs bestimmt, der in einer Kommanditgesellschaft immer ausschließlich und allein die Geschäfte führt.

Auch worst case Szenarien wie ein möglicher sportlicher Abstieg und das zumindest temporäre Fernbleiben von den Futtertrögen der ersten Liga sind kein so großes Schreckensszenario wie vor dem Einstieg der Investoren, wo Hertha zum Teil kurz vorm Monatsende nicht wusste, wovon man zum Ultimo Gehälter und andere Verpflichtungen bezahlen sollte.

Was also könnte an diesem Engagement für Hertha problematisch werden? Sollten nach dieser Neuaufstellung des Vereins weiterhin nicht möglich sein, aus dem laufenden Betrieb die zur Fortführung erforderlichen Investitionen zu stemmen, finden sich ggf. eines Tages keine Geldgeber mehr, die dann dringend benötigtes Kapital zur Verfügung stellen. Oder es finden sich welche, die jedoch nur zu nah an der Sittenwidrigkeit schrammenden Konditionen bereit sind, Gelder zur Verfügung zu stellen. Wobei, das hatten wir ja schon und haben das auch überlebt.

Hertha hat eine beinahe einmalige Chance, aus der Situation etwas zu machen. Im besten Fall gelingt das und führt uns in sportliche Sphären, in der der bei internationalen Auftritten oft verwendete Name “Hertha Berlin” häufiger zu lesen sein wird und nicht wenige haben die Champions-League Hymne im Ohr mit Auftritten gegen glanzvolle Namen mit Spielern im Herthatrikot, von denen wir vor einigen Jahren nicht einmal zu träumen wagten.

Es kann aber auch nur zur Seitwärtsbewegung reichen, wo man trotz des vielen eingesetzten Kapitals es nicht schafft, sich gegen die Wettbewerber durchzusetzen. Die Luft in der Liga ist dünn, zwischen Europa und Abstiegsgefahr liegen oft am Saisonende nur 10-15 Punkte, ein paar Verletzte, ein Missverständnis zwischen dem handelnden Potentials und schon ist Krisenmanagement gefragt. Ein Begriff, wo nicht wenige bei Hertha ob schmerzvoller Erinnerungen zusammenzucken, bestand selbiges doch oft aus Namen wie Funkel, Skibbe, Rehagel oder Klinsmann und endete in ebenfalls nicht wenigen Fällen in der zweiten Liga.

Und im schlimmsten Fall? Was passiert, wenn Hertha die vorhandene Power nicht auf die Straße bringt und der Investor irgendwann die Geduld verliert, kann man in Deutschlands zweitgrößten Stadt erleben, wo der ehemalige “Dino” gerade dabei ist, sich auf seinen bestimmungsgemäßen Weg des Aussterbens zu machen, nachdem man erneut an der Aufgabe eines Aufstiegs gescheitert ist. Sponsor weg, Investor weg, Fans verbrennen ihre Utensilien, da hat der Untergang vermutlich gerade erst begonnen und wer weiß, welche Heuschrecke dann als Glücksritter in den Fußstapfen des Milliardärs Kühne folgt.

Auch Kaiserslautern und die “Sechz’ger” konnte alle Tradition nicht retten, die jedoch vor dem völligen Untergang bewahrt und nach einer Entschuldung durch eine Insolvenz wenigstens einen substanziellen Neuanfang mit einer soliden Fanbasis in einer der unteren Ligen ermöglicht. Und da es am Ende egal ist, ob man mit ein paar Millionen oder einer Milliarde in die Insolvenz geht, gönne ich auch Hertha noch eine Investorentranche, wo man sich als “was ist letzte Preis” auf einen Wert von über einer Milliarde geeinigt hat. So kann man wenigstens das Orchester weiter spielen lassen. Wie auf der Titanic. Wir reden ja schließlich von Unterhaltungsindustrie.

HaHoHe, Euer Opa

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