(opa) Die Bilder eines Spiels im fast leeren Olympiastadion, die vorgestern über die Bildschirme derjenigen flackerten, haben mich an eine Zeit denken lassen, die am Beginn meiner Fußballsozialisation in den 80er Jahren stand. Während um mich herum Klassenkameraden sich reihenweise als Bayern-, HSV- oder Gladbachfans (sogar Uerdingen hatte Anhänger) outeten, stand ich als Herthaner ziemlich alleine da.
Ein Gefühl, mit dem man als Herthaner dieser Zeit umzugehen lernen musste. In der Saison 1985/86 kamen gegen Viktoria Aschaffenburg gerade mal 1.363 Zuschauer ins Olympiastadion. Wenn ich in dieser Zeit mein Trikot überstreifte, meine Kutte in Heranwachsendengröße mit nicht jugendfreien Aufnähern anzog (die ich noch nicht alle verstand), meine Fahne schnappte und mich mitsamt meiner damals sehr geliebten Tröte auf den Weg ins Stadion machte, erntete ich häufig einigermaßen verständnislose Blicke. Und nicht wenigen musste ich erklären, wer oder was dieses Hertha sei.
Im Stadion war es einsam, es gab zwei Kategorien von Karten. Es gab Tribüne Unterring und Unterring Kurve und Oberring. Freie Platzwahl inclusive. Und wenn das Taschengeld knapp war, ging man zur 2. Halbzeit rein, da war freier Eintritt. Zustände, die im heute überregulierten und durchkommerzialisierten Fußball mit Volunteers, Stewards und Barcodeeinlassystemen undenkbar scheinen. Wir haben es tatsächlich überlebt. Genauso wie es hinten in den Autos keine Gurte gab und vor der Fahrt auf die Autobahn das Kommando kam, man solle sich festhalten.
Wobei, wirklich einsam war man im Stadion nicht, da war man Teil derselben verrückten Menge, die die blauweiße Leidenschaft teilten, pro Spiel Unmengen Geld für Tröterei ausgab und sich bei Regen unterm Dach im Oberring sammelte. Und nicht selten gab’s irgendwie Stress und Rennerei. Fußball spielte eine untergeordnete Rolle. Man erwartete nicht viel von Hertha diesbezüglich. Wir waren uns dennoch selbst genug. Mit allen Zähnen nach Hause zu kommen, war für den einen oder anderen schon Erfolg genug.
Nach dem Finale vorgestern bemerkte der DFB Präsident in einer Ansprache, die kein Sportler in dem Moment braucht, in dem er einfach nur den Pott hochhalten will: “Es tut mir so wahnsinnig leid, dass ihr heute keine Zuschauer gehabt habt. Das ist etwas, das ich wahnsinnig vermisse und ihr auch” Uns von damals wird er vermutlich kaum gemeint haben. Einige von heute auch nicht, z.B. die, die die zunehmende Kommerzialisierung kritisch kommentieren statt einfach nur applaudierende Masse zu sein.
Klar ist, dass Spitzensport heute ohne Kommerz kaum geht. Die Frage ist, wo man die Grenze ziehen möchte. Und wer das tun soll. Diejenigen, die den Zirkus veranstalten, lernen gerade, dass ihr Produkt durchaus auch ohne Zuschauer in den Stadien hervorragend zu funktionieren scheint. Und viele Zuschauer, die sonst in den Stadien zu finden sind, lernen gerade, was man alles an einem Spieltag schaffen kann, wenn man nicht ins Stadion fährt. Ich bin jedenfalls gespannt, was sich aus den während der Pandemiezeit gesammelten Erkenntnissen für Konsequenzen ergeben werden.
Wobei neueste Zahlen belegen, dass z.B. das Pokalfinale gestern rund 30 % weniger Zuschauer angesehen haben als im Schnitt der Vorjahre. So könnte der Kommerz über die Marktgesetze dann doch mehr regeln als sich die Kommerzgegner derzeit ausmalen. Strohfeuer? Trendwende? Sommerloch? Diskussionsstoff dürfte genug vorhanden sein.
Und wie geht ihr damit um? Ändert sich für Euch was? Oder hat sich schon etwas geändert? Oder geht’s einfach so weiter wie bisher. Leider ist unser Umfragetool gerade kaputt, daher schreibt doch einfach in die Kommentare, wie sich Euer Fandasein verändert. Und sobald das Umfragetool wieder geht, verrate ich Euch auch den neuen Termin fürs Sommerfest 😉
HaHoHe, Euer Opa