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Tradition verpflichtet, aber zu was?

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(opa) Heute vor 15 Jahren, es war der 26.7.2007, stach ein motivierter Aufsichtsratsvorsitzender namens Bernd Schiphorst seinen Spaten in Berliner Erde. Es sollte der Startschuss für ein Museum werden, was bis heute nicht eröffnet ist und damit Auftakt für Ankündigungen, die alle in Schall und Rauch verpufft sind. Ein Fanhaus sollte es auch geben, genau wie Freibier für den Wiederaufstieg. Die Ankündigung eines neuen Stadions muss davon (noch) ausgenommen werden, das soll ja erst am 25.7.2025 eröffnet werden. Dann wurden mal die berühmten Hebel identifiziert, mit denen man “den Abstand zu den Top-Clubs verringern” wollte. Mit 374 Mio. € im Rücken wurde schließlich die größte Aufholjagd gestartet, die der europäische Fußball je gesehen hat. Wer erkennt da ein Muster?

Wer also anlässlich des gestrigen 130. Jubiläums eine außergewöhnliche oder große Party erwartet hatte, wurde demnach nicht enttäuscht. Es gab keine. Aber es soll eine geben, am kommenden Samstag öffnet Hertha um 10 Uhr die Pforten des Olympiaparks, um 11 Uhr begrüßt Präsident Bernstein die Gäste und anschließend gibt’s Rundgänge, Bühnenprogramm mit dem “Sympaticus” Axel Kruse (der unserem Investor “doof ist er also ooch noch” gesagt hat) und abends tritt als Stargast Frank Zander auf. Ein Programm, was irgendwie nach Möbelhauseröffnung klingt, aber nicht nach einem Fest einer Körperschaft, die für sich in Anspruch nimmt, die größte Sportvereinigung der Hauptstadt zu sein. Die Gratwanderung zwischen Demut und Selbstbewusstsein scheint auch weiterhin nicht unbedingt das Ding unserer alten Dame zu sein.

Doch irgendwie passt das dann doch zu Hertha und man wäre wohl eher überrascht, wenn es glanzvoller zuginge. Wobei gibt es noch echte Berliner Stars wie weiland Harald Juhnke, “Jünta” Pfitzmann, Wolfgang Gruner, Manne Krug, Horst Buchholz, Brigitte Mira, Edith Hanke, die göttliche Marlene oder von mir aus die im schwäbischen Ulm geborene Hilde Knef? Es mag heute immer noch populäre Menschen geben wie Mario Barth, aber nicht mal der kriegt vermutlich noch das Oly voll. Somit wäre er doch eigentlich perfekt als Werbefigur fürs neue Stadion?

Das Berlin, in dem die meisten von uns aufgewachsen sein dürften, gibt es ja ohnehin nicht mehr. Wo früher die teilende Mauer eine Art Stadtrand darstellte, war plötzlich mittendrin. Die Brache Potsdamer Platz, auf der sich Bewohner von Gammler-Wagenburgen und ein Zirkuszelt als Veranstaltungsort breitmachten, glänzt heute – um es mit dem legendären Billy Wilder zu sagen – wie ein Hering im Mondenschein. Er glänzt, aber er stinkt. Kein Berliner geht abends am Potsdamer Platz aus. Oder an einem der sonstigen Touristen-Hotspots wie Hackescher Markt oder die Gegend um das RAW Gelände, die alle nur noch als vollurinierte Kulisse für ein modernes Berlin-Trugbild von Neo-Berlinern dienen.

Was bleibt ist vielleicht noch das KaDeWe, wenngleich auch das schon bessere Zeiten gesehen hat. In der Feinkostabteilung gibt’s schließlich auch schon veganes “Zeug”. Der Kudamm ist schon so oft renoviert, dass man sich wundert, wie die ganzen Tapetenschichten übereinander die Kulisse noch halten. Am Bahnhof Zoo stinkt es nicht mal mehr, das legendäre Berlin-Musical Linie 1 (die jetzt die 2 ist) muss also umgeschrieben werden.

Und angesichts dieser epochalen Veränderungen ist es doch dann sehr beruhigend zu wissen, dass da immer noch die olle Hertha ist, die uns schon immer mit ihren Stolpereien, Tapsigkeiten, Skandalen und Skandälchen begleitet und dann doch irgendwie so ist, wie man selbst: Keene Haare uffm Kopp, aba ‘n Kamm inne Tasche. Man könnte so viel mehr, hat nie genug Geld und wurschtelt sich trotzdem irgendwie durchs Leben. Geht es berlinerischer? Oder berlinischer? So etwas diskutiert man nicht, man spült es mit einer Schulle in der Eckkneipe herunter, wo andere Gestalten mit einem das Schicksal teilen, Fan dieses Vereins zu sein. Ab und an hustet einer, als würde er ein Brikett auswerfen, man ist schließlich in einer Raucherkneipe, und dennoch kauft gefühlt jeder zweite jede Saison ein neues Trikot – sofern es noch passt. Wenn ein Verein Widersprüchlichkeit kann, dann Hertha.

Und so stolpern wir erneut in eine Fußballsaison, ohne Museum, ohne Fanhaus, ohne eigenes Stadion. Voller Hoffnung, dass das schlechte Jahrhundert doch endlich vorbei sein könnte, welches jeder Verein mal haben kann. Und wenn nicht? Ist es auch egal. Über die Gründungszeit von Hertha heißt es bei Wikipedia, dass bei den Mitgliedern die Geselligkeit im Vordergrund stand, weshalb sich keine Erfolge einstellten.

Ich sage Euch Prost, äh, HaHoHe, Euer Opa

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