Veröffentlicht am Kategorien 1. Bundesliga, 2021, Allgemein, Länderspiel

Lichtspektrum

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(opa) Von violett bis rot, von 380 nm bis 780 nm reicht das für den Menschen sichtbare Lichtspektrum und fasziniert bis heute Menschen. Manchmal regt es einige auch auf, wie dieser Tage zu beobachten ist. Während sich die einen wünschen, ganz Deutschland möge in Regenbogenfarben als Bekenntnis zu einer freien Gesellschaft erstrahlen, wenden sich andere genervt davon ab und wollen, dass einfach nur Fußball gespielt wird. Für beides habe ich durchaus Verständnis. Homophobie (und alle mit ihr verwandten Spielarten wie Transphobie etc.) ist und bleibt aber ein gesellschaftliches Problem. Selbst rund 27 Jahre nach Abschaffung der letzten Reste des § 175 StGB scheinen Teile unserer Gesellschaft immer noch Probleme mit “nichtnormativen” sexuellen Präferenzen zu haben. Das ist traurig, bedauernswert und es bleibt unzweifelhaft eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass vermeintliches”Anderssein” eben selbstverständlicher Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft und unseres Daseins ist und das diese Menschen angst- und diskriminierungsfrei ihr Leben leben können.

Über den Weg dorthin soll und darf man sich aber durchaus streiten. Ob ein keinen sonderlichen Mut kostendes “Zeichen setzen” der richtige Weg ist, war ja in den letzten Tagen durchaus Teil der Debatte, genau wie die Frage, ob ein von homophoben Oligarchen mitfinanziertes Turnier der richtige Rahmen dafür ist. Und nicht jeder, der Zweifel daran hat, muss zwingend homophobe Motive besitzen. Eine Nuance, die bisweilen im Getöse gern allzu empörter Zeitgenossen schnell unterzugehen droht und die Debatte mindestens ebenso behindert wie “echte” Homophobie.

Wer allerdings mal miterlebt hat, wie diese “echte” Homophobie aussieht, wie z.B. in Fankurven oder in Teilen der muslimischen Mitbürger mit dem Thema umgegangen wird, wer gesehen hat, wie es dem wirklich mutigen Volker Beck in Moskau ergangen ist, der weiß, dass hier noch ein langer, langer Weg vor uns liegt und es nicht damit getan ist, ein paar Lampen anzuzünden oder die Farbe der Armbinde zu wechseln. Das nutzt nämlich in der Sache genauso wenig wie der Applaus von den Balkonen zu Beginn der Pandemie, der bis heute bei Betroffenen deutlich weniger Verzückung aufkommen lässt wie die Begeisterung für die regenbogenfarbenen Stadien derzeit.

Apropos Applaus: So verzückt viele am letzten Samstag vom Auftritt der Nationalelf waren, wird es spannend, wie die Stimmungslage gegen 22:45 Uhr sein wird, wenn die Partie Deutschland gegen Ungarn abgepfiffen wird und feststeht, ob Deutschland weiter ist (ein Unentschieden reicht dafür) und wo und gegen wen man im Achtelfinale spielt.

Immerhin ist die Partie ganz abseits des Getöses um die Stadionillumination durchaus geschichtsträchtig. Nicht nur wegen der Partie 1954 in Bern, auch sonst verbindet Ungarn und Deutschland vieles. Die Besatzung durch die Russen, gegen die am 23.10.1956 die Bevölkerung Ungarns rebellierte (heute ist am 23.10. ein Nationalfeiertag) und die ebenso blutig niedergeschlagen wurde wie der 17. Juni 1953. Dazu verbinden viele ehemalige DDR Bürger Ungarn nicht nur mit Urlaubserinnerungen, sondern mit der eigenen Flucht in die Freiheit, die durch die Ungarn ermöglicht wurde, indem sie als erster Ostblockstaat den eisernen Vorhang lüfteten und damit epochalen Ereignissen den Weg bahnten.

Dass die Ungarn aufgrund ihrer bewegten Geschichte einige Dinge vielleicht ein wenig anders sehen als wir, sollte kein Grund sein, deren feste Verwurzelung im Herzen Europas in Frage zu stellen. Die Ungarn waren nicht nur als ehemaliger Teil der kuk-Monarchie “besetzt”, sondern zwischendurch lange und leidvoll unter türkischer Besatzung, später waren auch wir Deutschen mal dort und in dieser Folge kam dann der Russe. Auch wenn das natürlich nur eine sehr grobe Betrachtung ist, lässt sich daraus durchaus eine gewisse Aufmüpfigkeit gegen Obrigkeiten heraus verstehen genau wie ein stärkerer Drang, “unter sich” zu sein. Gepaart mit dem legendären Heißblut der Ungarn ergibt das eine Melange, die uns Deutschen heute bisweilen fremd erscheinen mag.

Doch zurück zum Fußball, wo sich das ungarische Team zwischen der Slowakei und Russland auf Platz 37 der Weltrangliste wiederfindet und damit nur noch ein Schatten dessen ist, was 1954 Favorit war. Dennoch denken viele Deutsche an große ungarische Fußballer zurück, einer davon trainiert gerade einen kleinen Club im Nordwesten unserer Stadt, aber auch Gabor Kiraly oder Ferenc Puskas und von den aktiven Fußballern fallen einem Namen wie Adam Szalai, Peter Gulasci oder Willi Orban ein, die alle keine “Laufkundschaft” sind und die heute Abend vermutlich auflaufen dürften.

Auf der anderen Seite wird die DFB Elf sicher das Beste aufbieten und kann mit dem Druck durchaus umzugehen wissen. Wenn um 21 Uhr die Partie vom russischen Schiedsrichter Karasev angepfiffen wird, ist alles drumherum sowieso für 90 Spielminuten vergessen, dann geht es darum, den Einzug ins Achtelfinale klarzumachen. Dann könnte es vielleicht doch noch ein Sommermärchen geben, auch wenn der Sommer gerade eine Pause einlegt (was mir durchaus passt, da ich am Abend meine zweite Impfung bekomme).

Genießt also den Tag bis dahin, genießt das Spiel, feuert unsere Mannschaft an, bleibt tolerant für das gesamte Lichtspektrum und bleibt vor allem blau-weiß. HaHoHe, Euer Opa

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